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rechtliche Abteilung. Von dem Völkerrecht des einzelnen Staates und
seinem (esetzessystem hat die wissenschaftliche Betrachtung auszugehen.
Von diesem festen Boden aus gelangt sie zur Rechtsvergleichung der ver-
schiedenen Völkerrechte und Völkerrechtskreise, deren Ergebnis schließlich
die Feststellung der Grundsätze des Welt-Völkerrechts bildet. Die Be-
zeichnung „Völkerrecht“ ist freilich recht ungeschickt (besser: Staaten-
recht, zwischenstaatliches Recht), aber herkömmlich und darum un-
vermeidlich.
Damit ist die Frage der Positivität des Völkerrechts
gelöst. Daß seine Normen Verbindlichkeit besitzen, steht auch bei den
sog. Leugnern des Völkerrechts außer Streit. Doch gehen die Meinungen
über den Grund der Verbindlichkeit weit auseinander. Zu den verschiedenen
darüber vertretenen Theorien nimmt W. nunmehr eingehend Stellung. Er
unterscheidet die aprioristische Methode, die mit fertigen, vorgefaßten
Begriffen arbeitet und das Völkerrecht als überstaatliches, jedenfalls dem
einseitigen Willen des Staates entrücktes Recht konstruiert, und die em-
pirische Methode, die von den wirklich seienden Dingen ausgeht, also
nicht vom Willen des Staates, der selbst Produkt des Gesetzes ist, sondern
vom Gesetzesbegriff und seiner Autorität; bei dieser Methode steht die
Frage des Verhältnisses von Völkerrechtsquelle und Gesetzesquelle im
Mittelpunkt des Problems der Positivität des Völkerrechts. Die Verkennung
dieser Problemstellung hat zu der Verworrenheit in der Literatur geführt,
wobei man in der Regel Bekenner und Leugner unterscheidet. Diese Unter-
scheidung ist jedoch viel zu oberflächlich. W. unterscheidet namentlich
die naturrechtliche Theorie, die dualistische Theorie, die Theorie der ver-
schämten Leugner, die Theorie der gemeinsamen Normsetzung u. a, Alle
die Theorien verkennen nach seiner Ansicht, daß Inhalt und Wesen jeder
rechtlichen Autorität nicht für das Völkerrecht gesondert, sondern nur für
das ganze Rechtssystem einheitlich bestimmt werden können. Was die
vielerörterten Fragen nach Gesetzgeber, Richter und Exekutor im Völker-
recht betrifft, so ist die erstere gegenstandslos, weil es keine zentrale rechts-
bildende Instanz gibt, und berühren die beiden anderen keine dem Völker-
recht spezifischen Fragen, sondern Teilfragen aus dem allgemeinen Problem
des Rechtszwanges, das in einer späteren Abhandlung erörtert werden soll,
An diese kritische Uebersicht über die allgemeinen Völkerrechtstheorien
schließt sich ein Exkurs über die besonderen Auffassungen von TRIEPEL,
vV. VERDROSS, SoMLO sowie des Verfassungsgesetzgebers der Weimarer
Reichsverfassung (Art. 4). TRIEPELS dualistische, daher von W. abgelehnte
Theorie stellt den scharfsinnigsten Versuch dar, jene Vorstellung in den
Tatsachen des Völkerrechts begründet zu finden. Sie gipfelt in folgenden
Thesen: Völkerrecht und Landesrecht normieren verschiedene Lebensver-
hältnisse. Das Landesrecht entspringt einem nur einem Staate angehörigen
Rechtswillen, Völkerrecht dagegen dem Gemeinwillen mehrerer Staaten.