Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 42 (42)

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Verhältnis zwischen einfachem und verfassungsänderndem Reichs- 
gesetz nahezu in ihr Gegenteil verkehrt. Wenn jederzeit die Herbei- 
führung einer Abstimmung zwecks Feststelluug des Volkswillens 
freisteht und jede durch eine solche Abstimmung festgestellte Zu- 
stimmung bei Erreichung der durch Abs. 5 Satz 1 vorgeschrie- 
benen Mehrheiten ein fordernder Wille ist, so ist für ein ver- 
fassungsänderndes Reichsgesetz bei einer dem Willen der Bevölke- 
rung entsprechenden Umgestaltung überhaupt kaum noch Raum; 
dessen Bereich wäre dann vielmehr auf die Ausnahmefälle be- 
schränkt, daß entweder die Abstimmung zwar eine Mehrheit er- 
gibt, die aber den Erfordernissen von Abs. 5 Satz 1 nicht gerecht 
wird, oder daß geradezu gegen den Willen der Bevölkerung aus 
dringlichen Gründen des Gemeininteresses eine territoriale Ver- 
änderung durchgesetzt werden soll. Dieses Ergebnis erscheint 
mir schon allein mit dem Wortlaut des Abs. 1 völlig unvereinbar; 
dieser hätte dann unmöglich in zwei unmittelbar aufeinander 
folgenden Sätzen einerseits für jede territoriale Veränderung mög- 
lichste Berticksichtigung des Volkswillens vorschreiben, anderer- 
seits das verfassungsändernde Gesetz als die grundsätzliche Regel 
hinstellen können, sondern hätte in dem zweiten Punkt ganz anders 
gefaßt werden müssen. 
Das bisherige Ergebnis ist: eine nicht aus einem Volksbegehren 
entstandene Abstimmung kann niemals den Tatbestand des Abs. 3 
erfüllen und die Vorbedingung für ein einfaches Reichsgesetz 
schaffen. Die Bejahung einer Abstimmungsinitiative der Reichs- 
regierung auf Grund von Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 ist also nur 
unter dem Vorbehalt denkbar, daß eine solelıe Abstimmung, wie 
immer sie auch ausfällt, an dem Charakter ‚es Gesetzes als ver- 
fassungsändernden nichts ändern könnt“. Man müßte also, um 
das Initiativrecht der Reichsregierung zu retten, zwei verschiedene 
Arten von Abstimmungen als durch Art. 18 vorgesehen annehmen, 
die zwar wohl das gleiche Abstimmungsverfahren gemeinsam haben 
würden, aber in ihren Voraussetzungen und Wirkungen ganz ver-
	        
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