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Kapitels nicht verwendet wird. Die Weimarer Verfassung kennt
den Terminus „Auswärtige Gewalt“ nicht. Doch besteht für sie,
was .er ausdrücken will, daß der deutsche Staat wie jeder Staat
in seinen äußeren Verhältnissen in eigentümlicher Weise zusammen-
gefaßt erscheint, daß dementsprechend seine auf die äußeren Ver-
hältnisse bezüglichen Funktionen sich von anderen Funktionen
unterscheiden und ebenso wie die entsprechende Organisation, der
auswärtige Apparat, als Einheit auffassen lassen. In diesen Be-
ziehungen ist der Begriff „Auswärtige Gewalt“ den Begriffen
„Gesetzgebende Gewalt“, „Richterliche Gewalt“ und „Ausführende
Gewalt“ verwandt. Dem gleichen Vorstellungskreise wie diese
entspringt er. Die sogenannte konstitutionelle Doktrin liegt ihm
zugrunde, wie sie von LOCKE ausgebildet worden ist und Einfluß
auf die ihr gemäß entworfenen Verfassungen geübt hat. Bekannt
ist, daß die Entstehung der Verfassung der Vereinigten Staaten
von Amerika in der Ausgestaltung des Rechtes der auswärtigen
Angelegenheiten unter dem Einflusse der Doktrin in der LOCKE-
schen Ausprägung gestanden hat, wenn auch nicht ausschließlich '.
Der Ausdruck LOCKEs für „Auswärtige Gewalt* ist „federative
power“ ®. LOCKE stellt die „Auswärtige Gewalt“ der „Gesetz-
gebenden Gewalt“ (legislative power) und der „Ausführenden
Gewalt“ (executive power) gegenüber. Einen stärkeren Ausdruck
dürfte die Einsicht in das Wesen des Phänomens als eines be-
sonderen schwerlich finden können als in einer solchen Dreiteilungs-
lehre, die in der auswärtigen Gewalt einen der drei den Staat
konstituierenden Faktoren sieht.
Wenn nach dem allen ein Staat auswärtige Gewalt besitzt
soferne er — im weitesten Sinne — nach außen, insbesondere
auswärtigen Staaten gegenüber, zu handeln imstande ist, so ist
doch damit der Begriff der auswärtigen Gewalt noch nicht völlig
? Vgl. KAUFMANN a. a. 0. S. 25 ff.
s Jonn LOoEe, Two treatises on civil government. Herausgeg. von
HENRY MORLEY, London 1884, chapter XII $ 146 S. 268.