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diesem Zusammenhange, unabhängig vom Staate zu bestehen. Die
Vorstellung herrscht, das Recht sei etwas Natürliches und Ursprüng-
liches, das an sich bestehe, aus natürlichen Prinzipien entspringend,
und das — wenn das positive Recht anders laute — wiederher-
vestellt werden könne, ein Etwas, an dem der Staat eine natür-
liebe Grenze finde oder doch finden solle. Dies ist die Sphäre
des Staates als relativer Person, dessen Recht das konven-
tıionelle Naturrecht ıst.
Das konventionelle Naturrecht will den Staat von innen rela-
tivieren, will Dämme gegen seine Absolutheitsansprüche errichten.
Die Verfassungen selbst mit ihren besonderen Prinzipien, wie dem
des Parlamentarismus, sind dessen ein Ausdruck. Auch von außen
wird die Relativierung versucht. Das Völkerrecht ist dessen Aus-
druck, und den großen Damm gegen die Absolutheit des Staates
glaubt die Menschheit in dem Satze „pacta sunt servanda“ ge-
funden zu haben. Die Ententepropaganda gegen Deutschland im
Weltkriege — naturreehtlich, wie ihr Gebalt war — ist ein Aus-
druck dafür, wie er stärker nicht gedacht werden kann. Eine
kategorische Begründung besitzt der Satz nicht. Derselben Sphäre
sehört er an wie das den Staat von innen relativierende konven-
tionelle Naturrecht i. e. S. Denn auch dieses enthält den Satz
„pacta sunt servanda“. Gegenüber dem Verhältnis, in dem die
Staaten zueinander stehen als absolute und zunächst an keine
Schranken gebundene Personen (als welche der Satz „pacta sunt
servanda* sie relativieren will), weist das Verhältnis der Individuen
im Staate zueinander den Fortschritt auf, daß eine ıhrer rechtlichen
Bestimmung nach machtvolle Autorität besteht, die Durchführung des
Satzes zu garantieren. TÖNNIES drückt dies so aus, daß der Staat be-
stehe und gleichsam errichtet sei „zu dem Zwecke, das auf der Gültig-
keit von Kontrakten beruhende natürliche Recht auszudrücken und
durehzuführen“ (a. a. O. S. 278). Der Weltstaat, wenn er Wirk-
lichkeit würde, hätte dieselbe Aufgabe für das Recht zwischen
den Staaten, d. h. die der Garantie des Satzes „pacta sunt servanda“.