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eine starke Hervorkehrung sozialistischer Ziele und klang nicht uner-
heblich radikaler als die Erklärungen, die nahezu zwei Jahre zuvor
kurz nach der Revolution der Ministerpräsident Dr. Gradnauer als
Haupt einer mehrheitssozialistischen Regierung in der Volkskammer
abgegeben hatte.
Auf der so geschaffenen Grundlage vermochte sich die Regierung
längere Zeit zu halten, da die kommunistische Partei wider Erwarten
lange und fest zur Stange hielt, wenn es auch an starken Reibungen
und heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition sowohl in
der Presse wie vor allem auch im Landtage selbst in dieser ganzen
Zeit nicht gefehlt hat. Der Regierung blieben Schwierigkeiten nicht
erspart, da die knappe Mehrheit von zwei Stimmen, über die sie ein-
schließlich der Kommunisten verfügte, sie nicht selten Zufallsabstim-
mungen aussetzte, und wichtige Vorlagen im Parlamente zu Fall kamen,
wenn in der schlechten Jahreszeit die Grippe einmal etwas stärker auf
der linken als auf der rechten Seite eingefallen war. Erst im Mai 1922
begann die Lage sich zuzuspitzen. Die Kommunisten hatten gegen
das Gesetz über die Neuordnung des Polizeiwesens gestimmt, und da
auch die bürgerlichen Parteien es abgelehnt hatten, war diese überaus
wichtige Vorlage in der zweiten Lesung zunächst zu Fall gekommen.
Unmittelbar darauf stimmte die kommunistische Partei bei der Beratung
des Staatshaushaltplans gegen den gesamten Justizetat, und da auch
die bürgerliche Opposition sich nicht anders verhielt, war dieser wich-
tige Teil des Staatshaushalts in zweiter Lesung abgelehnt. Die Kom-
munisten erklärten zwar hierauf, daß sie das Gehalt des Justizministers
bewilligen wollten, hielten aber im übrigen an der Ablehnung des
Justizetats mit der Begründung fest, daß die sächsische Justiz als
Klassenjustiz von ihnen gemißbilligt würde. In dieser Situation stellten
die beiden Rechtsparteien einen Antrag auf Auflösung des Landtags,
während die deutsche demokratische Partei in einer Anfrage zunächst
nur eine Umbildung der Regierung forderte, da der alten Regierung
von der Mehrheit des Landtages durch die Ablehnung eines lebensnot-
wendigen Etatteiles ein Mißtrauensvotum erteilt worden sei. Der
Ministerpräsident lehnte es in der Sitzung vom 11. Mai ab, die von
der demokratischen Fraktion geforderten Konsequenzen zu ziehen, da
die Regierung in der Ablehnung einiger Etatkapitel in der zweiten
Lesung keine für sie maßgebliche Entschließung des Landtages erblicken
könne. Erst die Abstimmung über das Finanzgesetz, durch das gemäß
Artikel 42 Abs. 2 der sächsischen Verfassung der Haushaltplan festzustel-