Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 45 (45)

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Die den Neuwahlen folgende Regierungsbildung am 1. Dezember 
1922 vollzog sich genau so wie im Dezember 1920. Der Führer der 
Kommunisten erklärte zwar, seine Partei sei vom schärfsten Mißtrauen 
gegen die Regierung erfüllt. Da sie aber für den sozialistischen 
Ministerpräsidenten stimmte, wär diese Erklärung verfassungsrechtlich 
bedeutungslos, denn es kommt nicht auf die Gesinnung sondern ledig- 
lich auf die verfassungsrechtlich wirksamen Handlungen der Abge- 
ordneten an. Aeußerungen des Mißtrauens sind belanglos, wenn sie 
von Handlungen begleitet werden, die nach der Verfassung eine positive 
Bekundung des Vertrauens enthalten. Das schon bei der Regierungs- 
bildung ausgesprochene Mißtrauen gewann aber bald praktische Be- 
deutung durch das von den Kommunisten selbst gegen den Minister 
Lipinski eingebrachte Mißtrauensvotum, das in den Formen der Ver- 
fassung angenommen wurde und zum Rücktritt des Gesamtministeriums 
führte, das nunmehr bis zum 21. März, so lange dauerte die Krise, 
die Regierung als Geschäftsministerium gemäß Artikel 27 Abs. 5 
Verf. fortführte. Es folgt die Vereinbarung zwischen Sozialdemokraten 
und Kommunisten, auf Grund deren diese für den neuen sozialistischen 
Ministerpräsidenten eintraten; sie enthält einige Punkte, gegen die 
vom Standpunkt des Verfassungsrechts aus erhebliche Bedenken zu 
erheben sind. So muß z. B. gegenüber der Zusage, besondere Körper- 
schaften für die Arbeiter und Angestellten zu schaffen, auf Art 165 
Abs. 6 der Reichsverfassung hingewiesen werden, wonach Aufbau und 
Aufgabe der Arbeiter- und Wirtschaftsräte sowie ihr Verhältnis zu 
andern sozialen Selbstverwaltungskörpern zu regeln ausschließlich 
Sache des Reiches ist. Immerhin müssen aber auch in dieser Hinsicht 
zunächst die Taten der neuen Regierung und die von ihr dem Land- 
tage vorgelegten Gesetzentwürfe abgewartet werden. Die erwähnte 
Vereinbarung hat zunächst nur politische und keine verfassungsrecht- 
liche Wirkung. 
Kann man hiernach auch feststellen, daß die verschiedenen Regie- 
rungskrisen und die Versuche zu ihrer Lösung in Sachsen bis zum 
gegenwärtigen Augenblick zu Verstößen gegen das formale Verfassungs- 
recht nicht geführt haben, so wird das Urteil anders ausfallen müssen, 
sobald man versucht, die Verhältnisse von einem allgemeineren staats- 
politischen Standpunkte aus zu betrachten. Gerade das Verfassungs- 
recht eines Staates lebt nicht nur in den geschriebenen Normen, son- 
dern berubt wesentlich mit darauf, wie diese Normen von der Praxis 
gehandhabt und ausgestaltet werden. In besonders hohem Maße gilt
	        
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