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von allgemeiner Bedeutung, anderes wieder wirft interessante Streiflichter
auf die englische Verfassung und Politik.
Wie SPAnN greift auch TAYLoR in seinen Betrachtungen im 1. Hefte
über die historische Grundlage des Gildensystems auf das Mittelalter zurück.
„Das Mittelalter hatte in seinen Hauptzügen eine Symmetrie der Ord-
nung, die es sehr deutlich von der Gesellschaftsordnung oder Unordnung
unterscheidet, die uns heute beherrscht“ (S. 11). Das mittelalterliche System
war „örtlicher, wirtschaftlicher und demokratischer Natur“, „die moderne
Zeit ist zentralisiert, politisch und autokratisch“ (S. 12). Sein Haß gilt
der bureaukratisierten modernen Zentralregierung und der heutigen for-
malen Demokratie, bei der er vor allem den plutokratischen Zug immer
wieder hervorhebt. Das allgemeine Wahlrecht ist ihm nicht ein Triumph
der Demokratie, sondern ein weiterer Triumph für die politischen Redner
(S. 17). „Die angebliche Demokratie des modernen Systems ist der größte
Schwindel der Geschichte“ (S. 18). Drei Leitgedanken beherrschen das von
ihm propagierte Gildensystem:: Organisation nach der Aufgabenerfüllung,
d.h. die Bürger werden organisiert in den Gruppen ihrer Berufe und Tätig-
keiten, nicht in erster Linie in ihren Gemeinden oder Wahlkreisen (S. 23).
Er stellt die Bezirkstheorie der Politiker und die Berufstheorie der Gilden-
leute einander gegenüber (S. 26). Die Hauptschwäche des parlamentari-
schen Systems ist nach ihm, daß es sich mit Dingen abgibt, die über den
Horizont aller hinausgehen, die nicht in der besonderen Sache Fachmänner
sind. „Das parlamentarische System könnte ganz gut sein, wenn es ein
erstklassiges Wunder vollbringen könnte — das Wissen aller Welt zu be-
herrschen und es zu Gesetzen zu formen“ (8.28). Der zweite Leitgedanke
ist der der Selbstverwaltung, die die nach Berufstätigkeiten organisierten
Bürger, die Gilden, erhalten müssen. Dabei verkennt er aber nicht, daß
der Staat allgemeine Grundsätze festlegen muß, die auch die Gilden mit
Selbstverwaltung einhalten müssen (8. 48). Damit zusammenhängend er-
scheint als der dritte Leitgedanke der der Dezentralisation und der kleinen
Einheiten, also möglichste Beseitigung des „verderblichen Systems der
Zentralisation‘. Den Uebergang zum Gildensystem kann sich der Verfasser
nur im Wege des Evolutionismus vorstellen. Wiederholt betont er den
Widersinn der Revolution, die niemals ein Mittel des gesellschaftlichen
Fortschritts sei. Bei der Schilderung des Verhältnisses zwischen den Gilden
und dem Staat befindet sich der Verfasser nach seinem eigenen Eingeständ-
nis nicht auf sehr festem Boden. Er geht nur von der Tatsache aus, daß
die Gilde der wesentliche Mittelpunkt des Staates ist. Alle andern Fak-
toren des Staatsgebildes müssen sich nach diesem festen Kernpunkte rich-
ten, das Verhältnis beider im einzelnen ist aber eine bloße Zweckmäßig-
keitsfrage. Das Prinzip ist jedenfalls, der Zentralgewalt möglichst viel
Machtbefugnisse zu nehmen. Davon erhofft sich der Verfasser auch den
Zerfall des Parteisystems. So will er dem Staate nur das überlassen, was
Archiv des öffentlichen Rechts. N. F. 6. Heft 1. 9