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die Gilden nicht mit größerer beruflicher Tüchtigkeit betreiben können
(auswärtige Politik, Heer und Flotte, die ihm aber unwichtige Seiten der
Zentralregierung sind, Strafrecht und bürgerliches Recht, Erteilung der
Freibriefe an die Gilden, in der er die wichtigste Aufgabe des Staates in
Zukunft erblickt). Am Schluß des ersten Heftes gibt der Verf. die Lebens-
philosophie eines Gildenmannes, in der er vor allem das Geständnis ablegt,
daß die „Fragen der gesellschaftlichen Maschinerie, diese Einzelheiten wirt-
schaftlicher und politischer Verfassungen, ganz und gar überschätzt worden
sind“ (S. 106). „Es gibt politische Träumer und Professoren der Volks-
wirtschaft, die Verfassungen und Vorschriften mit dem einfältigen Enthu-
siasmus des Schuljungen sammeln, der sein Briefmarkenalbum füllt — und
soweit eine Wirkung zu entdecken ist, nur zu gleicher Befriedigung einer
harmlosen und unschuldigen Neugier. Denn ob der Mensch diese oder jene
bürgerliche Verfassung hat, erscheint letzten Endes von so wenig Bedeu-
tung, als wenn Brasilien die Farben seiner Briefmarken ändert“ (S. 107).
Kurz, es ist der echt englische Grundsatz des men not measures, der auch
hier letzten Endes als das Allheilmittel erscheint.
Das dritte Heft über Gildenpolitik zieht in vielem die praktischen Kon-
sequenzen aus den früher geäußerten Gedanken des Verf. Interessant ist
hier für den Staatsrechtler vor allem das 9. Kapitel über „Allgemeine
Politik“, in dem zu den wichtigsten politischen Fragen Englands und seines
Weltreichs Stellung genommen wird. So wird die jetzt verwirklichte Selb-
ständigkeit Irlands und der Kolonien gefordert. Bei der Behandlung der
Verfassungsreform ist für den Deutschen hauptsächlich die Tatsache von
Interesse, daß TAyLor das englische Oberhaus durchaus nicht so in Grund
und Boden verdammt, wie es die deutsche Revolution mit dem Zweikammer-
system gemacht hat. Er vertritt den Standpunkt, daß die Mitglieder des
Oberhauses viel staatsmännischer und weniger selbstisch sind als die Ver-
treter von Handel und Gewerbe im Unterhause. „Früher oder später werden
wir zu einer zweiten Kammer mit lebenslänglichen Mitgliedern kommen,
die gewählt werden wegen ihrer großen Sachkunde auf den verschiedenen
Gebieten des Menschenlebens‘ (S. 95). „Die älteren Peersfamilien haben
ein gewisses Gefühl für persönliche und völkische Würde entwickelt und
einen Sinn für Anstand im menschlichen Leben“ (S. 96). Das Unterhaus
ist das nicht, es ist die Vertretung des Reichtums und erscheint ihm viel
reformbedürftiger als das Oberhaus. Vernichtend ist sein Urteil über die
bei uns so vielgepriesene amerikanische Verfassung. „Die Vereinigten
Staaten haben schon lange das Höchste an mechanischen Einrichtungen
politischer Freiheit besessen, und der praktische Erfolg ist gewesen, daß
diese große Republik wie in einer Zange gehalten und beherrscht wird von
einem kleinen Klüngel von Trusteigentümern und politischen „Bosses“®
(S. 97). Das Hauptübel sieht er denn auch in der Parteiherrschaft, weiß
aber auch keine durchgreifenden Mittel zu ihrer Beseitigung.