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deutung ist das Wort „allgemein* auch in dem dem Art. 77 sach-
lich nahestehenden Art. 15 Abs. 2 gebraucht, wo von „allge-
meine(n) Anweisungen“ die Rede ist, als deren Gegensatz, wie
bereits in Verhandlungen des Verfassungsausschusses der National-
versammlung festgestellt wurde ”®, „Einzelanweisungen* zu denken
sind. Eine Beschränkung der Reichsregierung dahin, daß sie ihre
Verwaltungsvorschriften nicht beliebig spezialisieren dürfte, ist mit
dem Worte „allgemein“ nicht beabsichtigt und könnte praktisch
auch nicht erreicht werden, indem hier jede sichere Grenzziehung
—
nicht anzunehmen, daß sie die endgültige Fassung des Art. 77 irgendwie
beeinflußt haben, zumal sie, um zum Ausgangspunkt gesetzlicher Vor-
schriften genommen zu werden, eingehender Klärung bedurft hätten, Der
Begriff der speziellen Verwaltungsverordnungen, den Kant hier aufstellt,
ist neu und verwirrend. Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird man
unter einer speziellen Verwaltungsverordnung eine Anordnung verstehen,
die einen Einzelfall regelt, eine solche Anordnung ist aber im juristisch-
technischen Sinn überhaupt keine Verordnung sondern eine Verfügung.
Kanu schließt sich denn auch dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht an.
Ihm sind spezielle Verwaltungsverordnungen identisch mit Dienstanweisungen,
also nicht Anordnungen, die einen Einzelfall betreffen; ihr Charakteristikum
soll darin bestehen, daß sie „nur innerhalb der Beamtenhierachie Geltung
haben‘. Das ist aber nach der herrschenden Ansicht das Wesen jeder
Verwaltungsverordnung und die allgemeinen Verwaltungsverordnungen
Kanıs, die über die Beamtenhierarchie hinaus Geltung haben, fallen aus
dem Rahmen der Verwaltungsverordnungen überbaupt heraus, wie denn
auch KAnur für sie ebenso wie für „reine Rechtsverordnungen® eine Mit-
wirkung des Reichsrats verlangt. Ueber Rechtsverordnungen aber hat man,
mag es sich um „reine“ oder solche, die mit Verwaltungsvorschriften durch-
setzt sind, handeln, in Art. 77 in seiner endgültigen Fassung gar nichts
sagen wollen. Also kann man sich für die Auslegung des Art. 77 auch
auf die Ausführungen KAuLs nicht berufen. Uebrigens hält Kanu selbst
an seiner Theorie nicht fest, denn während er hier Verwaltungsverordnungen
kennt, die über die Beamtenbierarchie hinaus Geltung haben, geht er an
anderer Stelle (Prot. S. 169) mit der herrschenden Ansicht, wenn er Rechts-
und Verwaltungsverordnungen gegeneinander abgrenzend sagt: „Die Rechts-
verordnung verpflichtet Dritte (Staatsangehörige, Untertanen); die Ver-
waltungsverordnung verpflichtet nur Behörden.“
78 Protokolle des Verfassungsausschusses der Nat.Vers. S. 85 (HAUSS-
MANN).