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zuständigkeit des Richters, verzichten zu können ®, Solche Gründe
nennt aber — abgesehen von einer angeblichen deutschen Tradition
— selbst TuomA nicht ®. Ueberdies sollte auch nicht völlig übersehen
werden, daß der Richter im Staate der einzige unabhängige Fachmann
ex officio®! ist, wobei endlich mit dem seltsamen Schreckgespenst auf-
zuräumen wäre, daß bei Bejahung der richterlichen Prüfungszuständig-
keit der Richter über den Gesetzgeber gestellt würde. Bedarf es doch
nur eines legislatorischen Federstrichs, um die richterliche Gewalt in
ihre Schranken zu verweisen ?l:!
Bislang ist dies jedenfalls noch nicht geschehen. Davon legt die
deutsche Rechtsprechung beredtes Zeugnis ab. Zwar behauptet TaomA°”,
daß „faktisch die deutschen Gerichtshöfe aller Art bis in die neueste
Zeit ausnahmslos abgelehnt [haben], ein formell korrektes Reichs- oder
Landesgesetz auf seine materielle Verfassungsmäßigkeit zu prüfen“.
Allein dieser Satz dürfte wohl kaum den Sachverhalt richtig wieder-
geben. Im Gegenteil fällt es schwer, Beispiele aus der Rechtsprechung
dafür heranzuziehen, daß ein deutsches Gericht seine Entscheidung
einzig und allein darauf stützte, daß ihm die Prüfungszuständigkeit
mangele®®. Was diese Ziuständigkeit hinsichtlich der Frage anlangt,
ob ein Landesgesetz durch Reichsrecht gebrochen worden sei, so herrscht
sowohl in der Theorie wie in der Praxis — wie im Gegensatz zu THomA
—
28 So muß die Fragestellung lauten; vgl. auch TrIıEPEL a. a. O. S. 92
Anm. 2.
3° Vielmehr hält er mit Recht die Befürchtungen LEnELs (Ueber die
Reichsverfassung S. 30 ff.) für „weit übertrieben“; vgl. a. a. O. S. 275
Anm. 7.
® Nicht ohne Grund betont KOELLREUTER (Das parlamentarische
System in den deutschen Landesverfassungen S. 6), daß der Reichspräsident
durch das Institut der Gegenzeichnung „an die Regierung gekettet“ ist
die wiederum Parlaments-, d. h. Majoritätsausschuß zu sein pflegt. Hier
kann von einer wahren Unabhängigkeit nicht die Rede sein. — Ueber die
Bedenken gegen die Einsetzung des Parlaments zum Richter in der be-
handelten Frage vgl. schon BisMmArck, Gedanken und Erinnerungen II. Bd.
S. 802. — Vgl. zum Text auch. BÜHLER a. a. O. Sp. 581.
®1® Als Beispiele für die in der RV. vermiedene gesetzgeberische Rege-
lung der richterlicheu Prüfungszuständigkeit: Art. 106 pr. Verf. v. 31. Jan.
1850; $ 72 bayr. Verf. v. 14. Aug. 1919.
e2 A. a. 0. S. 273.
s® Ein Beispiel für die parenthetische Behandlung der Frage: Pr.
OVG@. 63, 170.