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gar nicht entstanden war. Er ist nur ein Programmpunkt und als
solcher allerdings sehr interessant für die Rechtsauffassung, die damals
in der Synode über das unumschränkte Anschlußrecht der Gemeinden
herrschte.
Auch das Urteil des Landgerichts Rudolstadt vom 16. Oktober 1922
kommt zu dem Schluß, daß die Thüringer Synode an den Anschluß
einzelner Gemeinden fremder Landeskirchen gedacht hat, wenn es in
den Gründen sagt:
„Wenn auch in dem Beschluß der Thüringer Synode vom 5. De-
zember 1919 der Eintritt in die Thüringer evangelische Kirche für
weitere Landeskirchen und Teile solcher offengelassen worden ist, so
hat sich diese Bestimmung in erster Linie auf den Beitritt der evan-
gelisch-lutherischen Kirchen von Reuß und Schwarzburg-Rudolstadt
und auf solche Gemeinden anderer Länder bezogen,
derenLage auf denZusammenschluß mit der Thüringer
Kirche hinwies.“
Konnte aber schon die territoriale Lage einer Kirchengemeinde
ein Grund dafür sein, um Anschluß bei einer andern als der bisherigen
Landeskirche zu suchen, um so mehr muß einer Gemeinde das Recht,
den Anschluß aus Bekenntnisgründen zu verweigern, gewährt werden.
Denn jeder Zwang in dieser Hinsicht widerspricht dem heutigen Frei-
willigkeitscharakter der Kirchen und ihrer Stellung zum Staate, Die
Kirchen tragen heute keinen staatlichen Charakter mehr, sondern sind
Vereinigungen der Gläubigen gleichen Bekenntnisses. Eine Vergewal-
tigung im Bekenntnisse und jede Einwirkung des Staates auf diesem
Gebiete ist heute unmöglich. Ob aber eine derartige Vergewaltigung im
Bekenntnisstande vorliegt, das zu entscheiden ist einzig und allein Sache
der Bekenner. Weder der juristische Gutachter, noch irgendein Gericht
oder eine sonstige Staatsbehörde kann dazu Stellung nehmen. Gewiß wird
in den Anschlußbedingungen, die die lutherische Kirche in Schwarzburg-
Rudolstadt gestellt hat, als erste die Unberührtheit des Bekenntnisstandes
gefordert. Aber wenn eine lutherische Gemeinde der Ansicht ist, daß
ihr Bekenntnisstand durch den Eintritt in die Organisation einer Kirche,
die nicht ausgeprägten lutherisch-konfessionellen Charakter trägt, ver-
letzt wird, so besteht nach den heutigen Grundsätzen keinerlei Mög-
Jichkeit, sie wider ihren Willen, d. h. durch Zwang dieser Organisation
anzuschließen. Und es steht ihr dann frei, entweder selbständig zu
bleiben, also etwa eine eigene Kirche zu bilden oder sich einer andern
Kirche anzuschließen, deren Bekenntnisstand dem ihrigen entspricht.