Ausübung solcher Kritik an Maßnahmen der Vorgesetzten der
Zurückhaltung befleißigen, die seine Stellung ihm auferlegt (vgl.
die Erklärung des bayer. Kultusministers vom 25. Januar 1923
in der Staatshaushaltsausschußsitzung, enthalten in der Bayer.
Staatszeitg. Nr. 21, 1923).
Die gesetzliche Bestimmung, wonach dem Beamten der „Zorn
der freien Rede“ wie jedem andern deutschen Staatsbürger aus-
drücklich gewährleistet wurde, ist doch sicherlich einem ganz an-
deren Beweggrund entsprungen. Es wäre eine gerade mit den
neuzeitlichen Ansichten ganz unverträgliche, dem Grundge-
danken des bestehenden Staatsbürgerherrschaftsstaats durchaus wider-
sprechende Anschauung, einen Beamten außerhalb des Bannes
seinesamtlichen Wirkungskreises, soweiter sich an die
Vorschriften der allgemeinen Gesetze hält, anders zu behandeln, als
jeden sonstigen Deutschen, eine Anschauung, die im Ergebnis dar-
auf hinausliefe, daß außerdienstlich der Beamte gegenüber
anderen Staatsbürgern geringeren Schutzes teilhaftig würde und
beinahe vogelfrei wäre1%. Danach bezweckt Art. 118 I der Reichs-
verfassung innerhalb des, wie vor, umschriebenen Rahmens die
Beseitigung eines unhaltbaren, ungerechten und verbittern-
den Ausnahmezustands zu Lasten des Beamtenin
Gegenständen, die mit seinen besonderen Pflichten und Auf-
gaben als Staatsdiener nicht im geringsten zusammenhängen.
So aufgefaßt, gewinnt erst Art. 118 I der Reichsverfassung seine
innere Berechtigung und tiefere Bedeutung. Es soll dem Beamten
durchaus nicht verwehrt sein, losgelöst vom dienstlichen Pflichten-
bereich, persönliche, wirtschaftliche und politische Dinge wie jeder
andere Deutsche zu besprechen, Meinungen hierüber freikundzugeben,
solange er nicht in das Gebiet des Verbotenen, des Strafrechts tritt.
Immerhin wird zu empfehlen sein, daß er sich auch über besondere
dienstliche Verhältnisse — im Gegensatz zu allgemeinen
Standesbelangen — mit der erforderlichen Zurückhaltung äußert,
10 Ebenso PILOTY im Archiv S. 4/5 und 7.
Archiv des öffentlichen Rechts. N. F. 6. Heft 1. 2