Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 45 (45)

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Warnungen entgegenzuhalten: gewiß ist die philosophische Behandlung 
der Jurisprudenz begrüßenswert und notwendig, aber das Studium oder 
gar nur die Lektüre philosophischer Werke macht noch keinen Juristen. 
Es droht die Mode einzureißen, ein philosophisches System, das einem 
gerade paßt, mehr oder weniger wörtlich ins Rechtliche zu transponieren.... 
Die zweite Warnung betrifft folgendes: KELSEN und SANDER sind strenge 
Positivisten, aber auch vorwiegend Rechtstheoretiker, die nur höchst selten 
ihre Konstruktionen mit Exempeln aus den erfahrungsmäßig gegebenen 
also positiven Normen illustrieren . . . Auch die reine Rechtslehre ist in 
gewissem Sinne dogmatischh, daß ihr nämlich KAntT als Dogma gilt“ 
(S. 66 #f.). Aber dieser Vorwurf kann jedenfalls mich nicht treffen. Zu- 
nächst gilt mir KAnT nicht als Dogma, habe vielmehr gerade ich in allen 
meinen Schriften an Kants Naturrechtsliehre die schärfste Kritik geübt. 
Ich halte aber diePhilosophieebensofürdienotwendige 
Grundlage jeder wahren Rechtswissenschaft, wie die 
Mathematik die notwendige Grundlage jeder wahren 
Naturwissenschaftist. Daß die Philosophie die methodische Vor- 
aussetzung jeder Geisteswissenschaft ist, weil jede Geisteswissenschaft sich 
in Reflexion auf „Geist“, „Bewußtsein“, „Sinn*, „Bedeutung“ bewegt, ist 
ein in allen anderen Geisteswissenschaften — Aesthetik, Sprachwissenschaft, 
Geschichtswissenschaft, Religionswissenschaft — immer mehr zum Durch- 
bruch kommender Gedanke. Der Bund zwischen Philosophie und Geistes- 
wissenschaften wird immer enger und die Rechtswissenschaft darf sich, 
soll sie nicht jede Bedeutung verlieren, nicht ausschließen. Es ist aber 
gar keine Rede davon, daß ich ein gerade mir passendes philosophisches 
System auf das Recht anwende: vielmehr arbeite ich mit Gedanken KAnTs, 
WINDELBANDSs, RIEKERTs, LASKs, COHENs, NATORPR, CASSIERERSs, BRENTANOSs, 
MARJYs, MEINONGs, HUSSERLs, PEARSONs, VAIHINGERS, VOLKELTS, KRIES 
u. & Weder bin ich also irgendwie dogmatischer Kantianer noch sind 
meine rechtstheoretischen Arbeiten an ein bestimmtes philosophisches 
System gebunden, müssen vielmehr vor jedem modernen philosophischen 
Systeme die Probe ihrer Richtigkeit bestehen können. Nur der Laie oder 
der Schulgläubige vermeint, daß allen modernen philosophischen Strö- 
mungen die gemeinsame Einheit der Problemstellung mangelt. Meine 
rechtstheoretischen Arbeiten haben zunächst der Feststellung der rechts- 
wissenschaftlichen Methode gedient, als solche habe ich aber gerade die 
deskriptive Analyse des positiven Rechtes erkannt, so 
daß für mich nicht — wie Kunz sagt — „stolze erkenntnistheoretische 
Formeln im Munde® (S. 87), sondern das Recht selbst und allein das 
Kriterium rechtstheoretischer Wahrheit ist. In meinen neuesten Schriften 
(„Der Begriff der Rechtserfahrung“, Logos 1922, und KELSENs Rechtslehre*, 
Tübingen 1923) habe ich gerade meine These, daß die Rechtssätze nicht 
Normen, sondern Realurteile sind, vor allem auf die Analyse kon-
	        
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