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vorsieht. Grade die zuletzt besprochenen Entscheidungen beweisen
aber, wie notwendig eine eingehende theoretische Behandlung der
staatsrechtlichen Frage nach den Folgen der Rückwirkungsklausel im
Steuerrecht wie auf anderen Rechtsgebieten wäre.
Aehnlichen Bedenken unterliegt auch ein anderes Urteil des
II. Senats (Bd. 5 S. 133), das sich mit der angeblichen rückwirkenden
Kraft von Abänderungsnormen beschäftigt. Die Entscheidung betrifft
folgenden etwas komplizierten Tatbestand: Das Reichsgericht hatte
im Jahre 1907 entschieden, daß Aufsichtsratsvergütungen, die vor dem
Inkrafttreten einer neuen stempelrechtlichen Norm verdient waren, auch
dann nach dem alten Gesetz beurteilt werden müßten, wenn die Ver-
anlagung unter Herrschaft des neuen Gesetzes erfolgt. Auf Grund
dieser Entscheidung war eine Aktiengesellschaft für die von ihr ge-
zahlten Vergütungen mit 8%, veranlagt worden; auf Grund einer in-
zwischen ergangenen dem Reichsgerichtsurteil widersprechenden Ent-
scheidung des RFH.s wurde die Gesellschaft aber nach dem neuen
Gesetz auf 120/, nachveranlagt; die Vorentscheidung hatte die Nach-
veranlagung, gestützt auf die geänderte Rechtsprechung des RFH.s, für
gerechtfertigt erklärt. Die Rechtsbeschwerde rügt die Verletzung des
8 212 Abs. IV AO. der zwischen dem Erlaß der zweitinstanzlichen
Entscheidung und dem Ablauf der Rechtsbeschwerdefrist in Kraft ge-
treten war; dieser & verbietet „eine Neuveranlagung auf eine nach
Entstehung des Steueranspruchs erlassene Entscheidung des RFH.s zu
gründen, in der die Steuerpflicht im Gegensatz zu einer früheren,
einen gleichen Tatbestand betreffenden höchstrichterlichen Entschei-
dung bejaht wird.“ Wäre diese Bestimmung vor der Vornahme der
Nachveranlagung in Kraft gewesen, so unterliegt es auch nach der
Feststellung des Senats keinem Zweifel, daß die Nachforderung hätte
unterbleiben müssen; andrerseits steht fest, daß die Neuveranlagung
ohne Rücksicht auf diese Bestimmung gerechtfertigt war. Fraglich
ist nur, ob das Inkrafttreten dieser zugunsten des Steuerpflichtigen
erlassenen Norm während der Rechtsbeschwerdefrist den RFH. veran-
lassen kann, das nach früherem Recht einwandfreie Urteil aufzuheben.
Der Senat verneint dies mit der Begründung, daß 8 212 Abs. IV
eine Verfahrensvorschrift sei, der eine Rückwirkung nicht zugeschrieben
sei; es liege kein Verfahrensmangel vor, „wenn die Nachforderung
nach den Verfahrensgrundsätzen erhoben worden ist, die zur Zeit
ihrer Geltendmachung Rechtens waren“. Man wird diesem Satz theo-
retisch zustimmen können, nur trifft er den Tatbestand nicht: würde