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diese Stellungnahme weniger Sache der juristischen Logik als des
rechtspolitischen Willens sei!?. Es bleibe hier dahingestellt, ob sich
für das Prüfungsrecht nicht auch vom formaljuristischen Standpunkt
aus überzeugende Gründe anführen ließen; seine Inanspruchnahme
durch das oberste Finanzgericht muß auf jeden Fall begrüßt werden.
Sein Standpunkt entspricht dem grade im Steuerrecht hervortretenden
praktischen Bedürfnis, denn dem Steuerpflichtigen ist bei der heutigen
Unsicherheit in der Gesetzesarbeit besser damit gedient, wenn seine
ernsthaften (!) Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit steuerrecht-
licher Normen gewürdigt werden, als wenn das Gericht kurzerhand
erklären würde, mit derlei Vorbringen habe es sich nicht zu befassen.
Wenn der angeführte Satz (Bd. 5 S. 334) also wirklich eine eindeutige
Bejahung des richterlichen Prüfungsrechts durch den RFH. enthält
(und ich bin geneigt, ihn dafür anzusehen), so hat das oberste Steuer-
gericht damit den Weg beschritten, der jedenfalls für das von ihm zu
bearbeitende Rechtsgebiet und unter Berücksichtigung der heutigen
Verhältnisse der allein gebotene erschien.
Bejaht somit der RFH. das Recht und die Pflicht des Richters,
Gesetze auf ihre Uebereinstimmung mit der Verfassung hin nachzu-
prüfen, so läßt diese freie Stellungnahme von vornherein vermuten,
daß die Steuergerichte und insbesondere der RFH. selbst das Recht
für sich in Anspruch nehmen dürfen, auch Verordnungen (im
weitesten Sinne) auf ihre Uebereinstimmung mit den Gesetzen hin zu
prüfen und einem Rechtssatz, der einer solchen Prüfung nicht standhält,
die Anwendbarkeit zu versagen, mögen auch die Verwaltungsbehörden
verpflichtet sein, ihn als sie bindende Anweisung anzusehen und als
solche zur Anwendung zu bringen. Tatsächlich hat auch der RFH.
in einer ganzen Reihe von Entscheidungen die Rechtsgültigkeit von
Verordnungen aller Art untersucht und in mehreren Fällen angeb-
lichen „Rechtssätzen* die Anerkennung abgesprochen. Bevor zu den
Urteilen dieser staatsrechtlich sehr bedeutsamen Gruppe von Erkennt-
nissen im einzelnen Stellung genommen wird, soll kurz festgestellt
werden, in welcher Richtung sich die Ueberprüfung von Verordnungen
vorzugsweise bewegen kann: Die erste Frage muß in jedem Falle
lauten: bestimmt die Verordnung überhaupt etwas, was nicht schon
12 Vgl. die methodologischen Ausführungen THoMas a. a. O. S. 272
und TrıieprEis Arch. d. öff. R. Bd. 39 S. 536 ff.; Streitigkeiten zwischen
Reich und Ländern S. 92, Anm. 2,