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Welche geringe Bedeutung dem Völkerrecht an und für sich
als dem Steuerrecht übergeordnete Rechtsnorm zukommt, beweist ein
nicht uninteressantes Urteil des I. Senats Bd. 3 8.10: Ein in Preußen
wohnender Argentinier verlangt für sich persönliche Steuerfreiheit von
der Kriegsabgabe 1918, unter Berufung auf einen von Preußen und
den übrigen Zollvereinsstaaten mit der argentinischen Konföderation
im Jahre 1857 abgeschlossenen „Freundschafts-, Handels- und Schiff-
fahrtsvertrag“. Dieser sichert den im Vereinsland wohnhaften argen-
tinischen Bürgern Freiheit von „Zwangsanleihen, Requisitionen und
Kriegskontributionen“ zu; nach $& 1 des Kriegsabgabegesetzes 1918
i. V.m. 8511 Z. 2 Bes.St.Ges. sind aber in Deutschland wohnende
Ausländer unbeschränkt kriegsabgabepflichtig, ohne daß aus dem Kriegs-
abgabegesetz selbst irgendein Anhaltspunkt dafür gewonnen werden
könnte, die auf Grund von völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen
privilegierten Ausländer sollten abgabefrei sein. Das Gegenteil ist
vielmehr aus den Materialien zu $ 1 Kr.Abg.G. 1916 einwandfrei fest-
zustellen, und da $1 des Kr.Abg.G. von 1918 mit diesem wörtlich
übereinstimmt, kann als „Wille des Gesetzgebers“ die Abgabepflicht
der völkerrechtlich geschützten Ausländer ohne weiteres angenommen
werden. Bei dieser Sachlage hält es der Senat weder für erforderlich
zu prüfen, ob die Kriegsabgabe von 1918 eine Kriegskontribution i. S.
des argentinischen Freundschaftsvertrags sei, noch ob dieser Vertrag
nach dem Staatsrecht des Deutschen Reiches die Kraft eines Reichs-
gesetzes erlangt hat. Denn selbst wenn man beides zugunsten des
Argentiniers als richtig unterstellt, müsse der einwandfrei festzustellende
Wille des jüngsten Gesetzes (d. h. der Kriegsabgabe) auf jeden Fall
vorgehen, da dieses den Staatsvertrag auch nicht etwa stillschweigend
als lex specialis anerkennt. Somit bleibt dahingestellt, ob wirklich
eine völkerrechtliche Verpflichtung des Reiches besteht, in Deutschland
wohnende Angehörige von derart befreundeten Vertragsstaaten kriegs-
abgabefrei zu lassen. „Wenn einer der beteiligten Staaten die Ange-
hörigen eines anderen unter Außerachtlassung dieser völkerrechtlichen
Verpflichtung durch Gesetz einer Steuer unterwirft, von welcher sie
nach diesem Vertrage hätten freibleiben sollen, so bleibt dieses Gesetz
für das innere Verhältnis dieses Staates maßgebend. Die Vertrags-
bestimmung kann nur der anderen Vertragspartei, dem beteiligten Staate,
zu völkerrechtlichen Schritten Veranlassung geben, die eine Abände-
rung jenes Gesetzes bewirken. Der Staatsvertrag berechtigt und ver-
pflichtet grundsätzlich nur die vertragschließenden Staaten, seine Ver-
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