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setzen. Die Zustimmung des Reichsrats kann gemäß den Vor-
schriften des Artikel 74 ersetzt werden.“
Der Sinn dieser Bestimmungen ist, „das Eindringen des Parla-
ments in die Exekutive zu unterbinden“ und „die Erhöhung der
Ausgaben möglichst zu erschweren“. Man fürchtete, daß gerade
bei der heutigen, von politischen Leidenschaften so erregten At-
mosphäre der Reichstag ohne eine derartige Bestimmung den
Wünschen der Straße allzuleicht Gehör schenken und so unnötige
Ausgaben in den Etat einstellen würde. Ein derartiges Vorgehen
könnte aber gerade heute bei der fürchterlichen Zerrüttung unserer
Finanzen die schlimmsten Folgen zeitigen.
Deshalb mußte die Ausgabeinitiative des Reichstags beschränkt
werden. Daß gerade der Reichsrat das Organ ist, das den An-
trägen des Reichstags auf Erhöhung oder Neueinstellung von
Ausgaben im Entwurf des Haushaltsplanes zustimmen muß, liegt
daran, daß die Länder nach der neuen Reichsverfassung fast gänz-
lich auf ihre Finanzhoheit verzichten mußten, und daß es deshalb
nur billig erschien, gerade der Vertretung der Länder einen grö-
ßeren Einfluß bei der Aufstellung eines erhöhten Etats einzuräu-
men. Hinzu kommt, daß in den meisten Ländern die Volksver-
tretung der alleinige gesetzgebende Faktor ist und es neben dem
Parlament keine andere Instanz gibt, die übereilte Beschlüsse der
Volksvertretung korrigieren könnte.
Der Weg, den Art. 85 Abs. 4 und 5 für Anträge des Reichs-
tags auf Neueinsetzung von Ausgabeposten in den Entwurf des
Reichshaushaltsgesetzes oder auf Erhöhung der von der Regierung
in den Haushaltsplan eingesetzten Posten bestimmt, weicht von
dem üblichen Weg der Gesetzgebung erheblich ab. Denn während
sonst Abänderungen, die der Reichstag an Gesetzesvorlagen der
Regierung vornimmt, Geltung erhalten, wenn der Reichsrat nicht
binnen 14 Tagen Einspruch erhebt, ist für den Fall, daß der
6° Drucks. des Reichsrats Nr. 229 S. 5; WOoLFFRAM in der 17. Sitzg.
des V.A. vom 28. 8. 19. Prot. S. 171.
Archiv des öffentlichen Rechte. N. F. 6. Heft 1. 5