Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierter Jahrgang. 1863. (4)

392 Uebersicht der Ereignisse des Jahres 1863. 
kußland, die Insurrection niederdrücken zu können und selbst auf die öffentliche 
Meinung in Rußland nicht absolut zählen konnte. Sobald aber diese 
gänzlich zu Gunsten der Regierung umgeschlagen hatte und sobald es durch 
Herbeiziehung neuer Militärmassen sich stark genug fühlte, Polen neuer- 
dings zu bewältigen, stand sein Entschluß fest, sich in keine Unterhandlun- 
gen einzulassen, bevor das Land wieder unterworfen sei und auch dann 
sich die Maßregeln der Pacification nicht von außen dictiren zu lassen, 
sondern nach eigenem Ermessen und ausschließlich russischem Interesse zu 
handeln. So erfolgte denn am 13. Juli die Antwort Rußlands auf den 
zweiten Schritt der drei Mächte, die in jeder Beziehung und unumwunden 
ablehnend lautete. Es verwarf die Erörterung der sechs Punkte, so lange 
die Ordnung in Polen nicht wiederhergestellt sei, den Waffenstillstand als 
mit der Würde des Kaisers unverträglich, die vorgeschlagenen Conferenzen 
der Wiener Vertragsmächte endlich, indem es lediglich Conferenzen der 
drei Theilungsmächte für angemessen erklärte. Seine Maßnahmen in Polen 
selbst entsprachen der Stellung, die er in solcher Weise Europa gegenüber 
einnahm. Schon im Mai war der bisherige Gouverneur von Litthauen, 
General Nazimow, abberufen und durch General Murawiew ersetzt wor- 
den, der sofort die äußersten Mittel ergriff, um den Aufstand niederzu- 
schlagen und den polnischen Adel in seinen Gouvernements völlig zu ver- 
nichten. Im Juli wurde auch Wielopolski, die Seele der bish. russischen 
Regierung in Warschau, entlassen oder in Urlaub geschickt und an seine Stelle 
Gen. Berg ernannt, der auch seinerseits keine andere Aufgabe kannte, als 
den Aufstand durch jedes Mittel, sei es welches immer es wolle, zu be- 
endigen. Unter diesen Umständen blieb den drei Mächten kaum etwas 
anderes übrig, als die ganze Frage fallen zu lassen oder alsbald zum 
Schwerte zu greifen. Es scheint, daß Frankreich unter Umständen hiezu 
nicht ungeneigt war. Schon im Juni hatte es England und Oesterreich eine 
engere Allianz zu diesem Zwecke vorgeschlagen und sich gegenüber Oester- 
reich speziell bereit erklärt, ihm jede Unterstützung zuzusichern, auf welche 
dasselbe nützlicher Weise rechnen könne, sowie jede Garantie zu leisten, 
die dasselbe für seine Interessen fordern könne. Allein Oesterreich ging 
nicht darauf ein, England wünschte um jeden Preis den Frieden zu er- 
halten, Schweden bot Frankreich für einen Krieg nur eine durchaus un- 
zureichende Unterlage, Preußen aber stand auf der Seite Rußlands. So 
sah sich Frankreich vollkommen isolirt. In der ersten Hälfte des August 
richteten zwar Frankreich, England und Oesterreich noch einmal überein-
	        
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