Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

94 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches. 
vermuthen, sondern vielmehr klar zu erweisen wäre; und drittens, weil Artikel 7 
in der mehrfach erwähnten Vorschrift, daß nicht vertretene oder nicht instruirte 
Stimmen nicht zu zählen sind, die Folge und zwar die einzige Folge der Nicht- 
vertretung oder Nichtinstruction ausspricht. Diese letzterwähnte Vorschrift in 
Artikel 7 der Reichsverfassung bedeutet auch, daß kein Bundesrathsbevollmächtigter 
mit Berufung auf seine Instructionslosigkeit die Verschiebung der Abstimmung zu 
sordern berechtigt ist; s. Seydel in v. Holtzendorff's Jahrbuch, III, S. 277. 
Daß es einem Souverän böllig frei stehe, die ihm im Bundesrathe zustehende 
Stimme ruhen zu lassen, hat auch Fürst Bismarck bei Berathung des Accesfions-= 
vertrages mit Waldeck im preußischen Abgeordnetenhause am 11. December 1867 
(Sten. Ber. 1866/67, Bd. I, S. 341) ausdrücklich anerkannt. 
Im Unterschiede vom Reichstage (Artikel 28 der Reichsverfassung) wird beim 
Bundesrathe eine bestimmte Zahl anwesender Mitglieder weder zur Berathung, noch 
zur Beschlußfassung erfordert; ebenso Seydel, Commentar zur Reichsverfassung, 
S. 146, Laband, Reichsstaatsrecht, S. 214, Anm. 2. 
Nach Artikel 6 der Reichsverfassung kann die Gesammtheit der einem Staate 
zuständigen Stimmen nur einheitlich abgegeben werden. Dies folgt schon daraus, 
daß der Staat und nicht seine Bevollmächtigten stimmen, und daß das Entsprechende 
auch beim deutschen Bundestage galt. Daraus ergiebt sich, daß, wenn die Bevoll- 
mächtigten eines Staates etwa wegen verschiedener Auffassung die ihnen ertheilten 
Instructionen nicht einheitlich votiren, die gesammten Stimmen dieses Staates als 
nicht instruirt gelten und nicht mitzuzählen find (ebenso Seydel, Comm., S. 133). 
Andererseits steht nichts im Wege, daß dasselbe Bundesrathsmitglied in ver- 
schiedenem Sinne votiren kann, wenn es mehrere Staaten vertritt und ver- 
schiedene Instructionen erhalten hat. Dies galt auch vom ehemaligen Bundestage; 
vgl. Laband, 1, S. 212, Anm. 1. 
Die Abstimmungen im Bundesrathe erfolgen in der Reihenfolge, welche 
sich aus Artikel 6 der Reichsverfassung ergiebt, d. h. die Staaten werden auf- 
gerufen, und ihre Stimme zählt, wie folgt: Preußen 17, Bayern 6, Sachsen 4, 
Württemberg 4, Baden 3, Hessen 3, Mecklenburg-Schwerin 2, Sachsen-Weimar 1, 
Mecklenburg= Strelitz 1, Oldenburg 1, Braunschweig 2, Sachsen-Meiningen 1, 
Sachsen-Altenburg 1, Sachsen-Koburg-Gotha 1, Anhalt 1, Schwarzburg-Rudolstadt 1, 
Schwarzburg-Sondershausen 1, Waldeck 1, Reuß ä. L. 1, Reuß j. L. 1, Schaum- 
burg-Lippe 1, Lippe 1, Lübeck 1, Bremen 1, Hamburg 1. 
Im Norddeutschen Bunde gab es keine Angelegenheit, die nicht allen 
Bundesgliedern gemeinschaftlich war. Das Einzige, was als eine nicht ge- 
meinschaftliche Angelegenheit erscheinen mochte, die Freihafenstellung von 
Lübeck, Bremen und Hamburg (Artikel 34 der Bundesverfassung), ergiebt sich beie 
näherer Betrachtung rechtlich und thatsächlich als ein Gegenstand von allgemeiner 
und nationaler Bedeutung. Denn einerseits mußten die Hansestädte für alle Zölle 
und Abgaben, von denen sie wegen ihrer Freihafenstellung befreit waren, ent- 
sprechende Aversa zahlen (Artikel 38, letzter Abs. der Bundesverfassung). Anderer- 
seits war es für das übrige Norddeutschland politisch, wirthschaftlich und finanziell 
von Wichtigkeit, daß die Freihafengebiete unverzollte und unversteuerte Gegenstände 
zum Nachtheile der norddeutschen Production aus dem Auslande beziehen konnten, 
daß sie wenigstens nicht direct die Zölle und gewisse Verbrauchsabgaben zu tragen 
brauchten und daß sie von der Gesetzgebung des Norddeutschen Bundes über das 
gesammte Zollwesen und die übrigen in Artikel 35 der Bundesverfassung be- 
zeichneten Steuern eximirt waren. Daher findet sich in der Verfassung des Nord- 
deutschen Bundes keine Vorschrift, daß die Bevollmächtigten einzelner Staaten oder 
gewisse Reichstagsmitglieder nicht in allen Angelegenheiten mitstimmen dürfen 
(Artikel 7 und 28 der Verfassung des Norddeutschen Bundes). 
Dies wurde anders, als durch die Novemberverträge des Jahres 1870 und 
die Reichsverfassung Reservatrechte für die süddeutschen Staaten geschaffen 
wurden. Artikel 7 der Reichsverfassung bestimmte in seinem letzten Absatze 
nunmehr: 
 
	        
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