Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

110 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches. 
jede Regierung, bei Vermeidung der Bundesexecution die Bundestagsbeschlüsse aus- 
zuführen. Die Bundesversammlung entschied darüber, ob ein gültiger Bundes- 
beschluß vorlag, und ob die aus diesen folgenden Pflichten durch die Staaten erfüllt 
waren. Dieses Recht überträgt die Reichsverfassung durch Artikel 19 dem Bundesrath: 
„Wenn Bundesglieder ihre verfassungsmäßigen Bundespflichten nicht 
erfüllen, können sie dazu im Wege der Exekution angehalten werden. Diese 
Erelution ist vom Bundesrathe zu beschließen uud vom Kaiser zu voll- 
strecken.“ 
Der Bundesrath hat hiernach darüber zu befinden, ob und was die verfassungs- 
mäßigen Bundespflichten sind, und es ist Seydel, Comm., S. 189, nicht zu- 
gegeben, daß, wenn ein Staat seine gesetzlich reichsrechtliche Verpflichtung bestreitet, 
die Angelegenheit nur auf dem Wege der authentischen Gesetzesinterpretation zur 
Erledigung gebracht werden muß. Wäre dies richtig, so hätte jeder Staat es in 
der Hand, die Erfüllung seiner Bundespflichten lange hinauszuschieben; alsdann 
läge auch kein Grund vor, besonders vorzuschreiben, daß noch ein Beschluß von 
Seiten des Bundesrathes zu ergehen habe, weil ein ausdrücklicher Gesetzes- 
befehl, der durch authentische Interpretation gegeben ist, selbstredend jeden 
Bundesrathsbeschluß überflüssig erscheinen lassen muß. Schließlich ist hierbei zu 
beachten, daß die Reichsverfassung keine Einschränkung zieht, daß es also ihr Wille 
sein muß, wenn der Bundesrath nicht bloß darüber befindet, ob ein Bundesstaat 
thatsächlich seine verfassungsmäßigen Pflichten verletzt, sondern auch darüber, 
was alsverfassungsmäßige Pflicht des Bundesstaates zu gelten hat. (Der 
gleichen Ansicht sind auch Hänel, Staatsrecht, S. 488, Anm. 4, und v. Rönne, 
Reichsstaatsrecht, I, § 8, S. 71, Anm. 1.) 
Wie auch in Artikel 32 der Wiener Schlußacte vorgeschrieben ist, kann sich 
auch jetzt die Bundesexecution nur gegen den Staat und gegen dessen Regierung, 
nicht aber unmittelbar gegen dessen Behörden und Unterthanen richten (Arndt, 
Komm. zur Reichsverfassung, S. 141, Seydel, Comm., S. 189). Wenn ein 
Staat deswegen seine verfassungsmäßigen Pflichten gegen das Reich nicht erfüllt, 
weil sein Landtag die Mitwirkung, z. B. die vom Reiche erforderten Geldmittel, 
verweigert, so kann der Bundesrath sofort und ohne Weiteres die Bundesexecution 
beschließen und braucht nicht abzuwarten, ob der Landtag aufgelöst wird und 
auch der neue Landtag die Mittel verweigert (anderer Meinung v. Rönne, Reichs- 
staatsrecht, I, § 8, S. 70). 
Der Kaiser und kein Anderer kann die Bundesexecution vollstrecken. Folglich 
ist eine Bundesexecution gegen Preußen unmöglich (vgl. Arndt, Komm. zur 
Reichsversassung, S. 141). Der Kaiser, d. i. Preußen, ist nicht bloß berechtigt, 
sondern auch verpflichtet, die vom Bundesrathe beschlossene Execution zu vollstrecken. 
Zur Vollstreckung kann der Kaiser eventuell auch außerpreußische Truppen befehlen. 
Da über die Art, wie die Vollstreckung der Bundesexecution zu erfolgen hat, in 
der Verfassung nichts bestimmt ist, so muß gefolgert werden, daß diese ganz in das 
Ermessen des Kaisers gestellt ist (ebenso Seydel, Comm., S. 190), bis zur 
Segquestration des betreffenden Landes und seiner Regierungsgewalt ausgedehnt und 
mit Waffengewalt ausgeführt werden kann (Arndt, Comm., S. 142, Laband, 
Reichsstaatsrecht, I, S. 105, Hänel, Staatsrecht, S. 445 ff., v. Rönne, Deutsches 
Staatsrecht, I, § 8, S. 71). Es ist anzunehmen, daß die Kosten der Execution 
der Staat zu tragen hat, gegen den sie zur Ausführung kommt (s. auch Seydel, 
Comm., S. 190). Den Antrag auf Bundesexecution können der Kaiser und jedes 
andere Bundesmitglied stellen. An der Beschlußfassung im Bundesrath kann auch 
der Staat theilnehmen, gegen welchen die Execution beantragt wird. 
Der Stellung des Bundesrathes als obersten Gerichts im Reiche entsprechen 
auch die Befugnisse, welche ihm in den Artikeln 76 und 77 der Reichsverfassung 
übertragen sind. 
Nach der deutschen Bundesacte vom 8. Juni 1815, Artikel XI, Abs. IV, und 
der Wiener Schlußacte vom 8. Juni 1820, Artikel 21, waren die Bundesmitglieder 
verpflichtet, „sich einander unter keinerlei Vorwand zu bekriegen, noch ihre Streitigkeiten 
mit Gewalt zu verfolgen, sondern sie bei der Bundesversammlung anzubringen, 
 
	        
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