Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

6 Erstes Buch. Entstehung des heutigen Deutschen Reiches, 
5J# 3. Gründung und Verfassung des Deutschen Bundes. 
Der Untergang der großen französischen Armee in Rußland 1812 gab das 
Zeichen zu einer allgemeinen nationalen Erhebung in Deutschland. Bereits im 
Februar 18183 verbanden sich Preußen und Rußland zu Schutz und Trutz. 
Im Aufrufe von Kalisch, der Namens der Monarchen von Rußland und 
Preußen am 25. März 1813 erlassen wurde, war den deutschen Völkern die 
Wiederkehr ihrer Freiheit und Unabhängigkeit und die Wiedergeburt ihres ehr- 
würdigen Reiches verkündigt und versichert worden, daß dieses große Werk ganz 
allein den Fürsten und Völkern anheimgestellt bleiben sollte, damit es aus dem 
ureigensten Geiste des deutschen Volkes „desto verjüngter, lebenskräftiger und in 
Freiheit gehaltener hervorgehen möge“. Am 14. Juni traten Schweden und England 
zugleich für Hannover, am 9. September Oesterreich dem Bündnisse bei. Auch die 
meisten deutschen Staaten traten mit wenigen Ausnahmen bei; zuerst und schon vor 
Oesterreich die beiden Mecklenburg, Oldenburg und die anhaltischen Länder, später 
zu Ried Bayern am 8. October, Württemberg zu Fulda am 2., Baden am 
20. November, Darmstadt am 23., Nassau und Coburg am 24. November, 
Kurhessen am 2. December 1813. In allen diesen Verträgen war die Lossagung 
vom Rheinbunde erklärt. Hierdurch wie durch die Kriegsereignisse wurde der Rhein- 
bund aufgelöst. Auch diese Auflösung erfolgte nicht ex tunc. Daraus ergiebt sich, 
daß die während der Zeit des Rheinbundes begründeten Rechtsverhältnisse an sich 
fortbestehen blieben. Freilich bestanden sie soweit nicht fort, wie sie die Zugehörig- 
keit zum Rheinbunde und seiner Verfassung betrafen, ferner, wenn und sovweit fie 
— was jedem früheren Rheinbundsstaate überlassen war — später aufgehoben 
wurden. Aufrecht erhalten find namentlich die Verzichterklärungen der Rheinbund- 
staaten auf Rechte an= und untereinander (s. oben 2), und zwar selbst für die- 
jenigen, welche, ohne Mitglieder des Rheinbundes gewesen zu sein, Theile des 
Rheinbundsgebietes erwarben 1. Ebenso find aufrecht erhalten u. A. die vom Rhein- 
bunde vorgenommenen Mediatifirungen und die von ihm anerkannten Souveränetäts- 
erwerbungen 2. 
Die Verträge der dem russisch-preußisch-österreichischen Bündnisse gegen Frank- 
reich beigetretenen Staaten zerfallen in zwei Gruppen. In denjenigen, welche mit 
Preußen abgeschlossen wurden, machen sich die Staaten anheischig — „à se con- 
former — aux engagements qui exigera Tordre des choses qui sera définitivement 
établi pour le maintien de Pindépendance de I’Allemagne." Dagegen war den 
Staaten, welche mit Oesterreich Verträge abgeschlossen hatten, insbesondere Bayern 
und Württemberg, zugestanden worden: „independance entière et absolue — la 
plénitude de sa souveraineté — dégagé de tout lien constitutionnel étranger S.“ 
Preußen erstrebte einen Bund, welcher Deutschland militärisch und in einigen 
anderen Beziehungen einheitlich zusammenfaßte — einen Bundesstaat —, 
Oesterreich dagegen wollte ein bloß völkerrechtliches Schutz= und Trutzbündniß 
nach Art des Rheinbundes. Die Ansicht Oesterreichs siegte. Im ersten Pariser 
Frieden vom 30. Mai 1814 wurde bestimmt, Art. 6: „Les Etats de I’Allemagne 
seront indépendants et unis par un lien fédératif.“ Zwar setzte Preußen 
noch eine Zeit lang seine Bestrebungen fort, indeß entsprach die am 8. Junie 
abgeschlossene und am 10. Juni 1815 unterschriebene „Deutsche Bundesacte'“, 
welche am 9. Juni der Wiener Congreßacte vom gleichen Tage einverleibt" und 
dadurch unter die Garantie der europäischen Mächte gestellt wurde, dem öster- 
reichischen Standpunkte. Als sog. zweites Grundgesetz des Deutschen Bundes 
  
  
1 Klüber, Oeffentliches Recht, §§ 47.83, 84.] S. 493, 517 a. a. O. — O. Mejer, Ein- 
— Zachariä, 1, S. 187, 188. leitung, S. 1413. 
2 S. Bundespräsidialvertrag vom 11. No- 4 Sie ist in Preußen auf S. 143 ff. Anhang 
vember 1816. — O. Mejer, Einleitung, S. 159. zur preußischen Gesetzsammlung publicirt. 
s v. Treitschke, Deutsche Geschichte, I,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.