8 19. Der Reichstag. 127
erklären; nur können Dritte sich nicht darüber beschweren, wenn ihre verspätet ein-
gelaufenen Anfechtungen ohne Weiteres abgewiesen werden.
Verlust der Mitgliedschaft.
Die Reichstagsmitgliedschaft hört auf, wenn der Reichstag aufhört, d. h.
wenn er aufgelöst wird oder die Legislaturperiode abgelaufen ist; s. weiter unten.
Sie hört ferner auf durch freiwilliges Ausscheiden. So wenig Jemand zur
Annahme des Reichstagsmandats gezwungen werden kann, ebenso wenig kann er
zu dessen Beibehaltung gezwungen werden. Der Verzicht auf das Reichstagsmandat
muß ausdrücklich erklärt sein; fortgesetztes Unterlassen der Theilnahme an der
Reichstagsthätigkeit kann den Verlust des Mandats nicht zur Folge haben. Die
Verzichterklärung muß gegenüber dem Reichstag ausgesprochen werden.
Die Mitgliedschaft geht ferner durch Verlust der Wählbarkeit verloren,
also z. B. wenn der Reichstagsabgeordnete aus der Reichsangehörigkeit entlassen
wird oder diese sonst verliert, oder wenn er mit Verlust der bürgerlichen Ehren-
rechte bestraft wird (Reichsstrafgesetzbuch § 33: „Die Aberkennung der bürger-
lichen Ehrenrechte bewirkt den dauernden Verlust der aus öffentlichen Wahlen für
den Verurtheilten hervorgegangenen Rechtet "). Sie geht aber nur durch
Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, nicht aber ohne Weiteres durch sonstige
gerichtliche Verurtheilung zu Freiheitsstrafe verloren, auch wenn dadurch die Aus-
übung der Reichstagsmitgliedschaft unmöglich gemacht wird. Die Todes= oder
Zuchthausstrafe haben, wenn nicht zugleich auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte
erkannt ist, den Verlust der Reichstagmitgliedschaft nicht zur Folge. Die Reichstags-
mitgliedschaft geht sodann verloren, wenn der Abgeordnete unter Vormundschaft
oder Kuratel gestellt wird, oder wenn über sein Vermögen Concurs eröffnet ist, oder
wenn er aus öffentlichen Mitteln Armenunterstützung bezieht. Sie geht selbstredend
durch den Tod verloren. Durch die Annahme eines anderen Reichstagsmandats
oder der Mitgliedschaft zum Bundesrathe geht sie streng genommen nicht verloren,
vielmehr muß das Reichstagsmandat niedergelegt sein, bevor gültig das andere oder
die Mitgliedschaft zum Bundesrathe angenommen find.
In Wiederholung des Artikels 78 der Preußischen Verfassungsurkunde, Abs. 3
stellt Artikel 21, Abs. 2 der Reichsverfassung den Satz auf:
„Wenn ein Mitglied des Reichstages ein besoldetes Reichsamt oder in
einem Bundesstaat ein besoldetes Staatsamt annimmt oder im Reichs= oder
Staatsdienste in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein
höheres Gehalt verbunden ist, so verliert es Sitz und Stimme in dem
Riichstas und kann seine Stelle in demselben nur durch neue Wahl wieder
erlangen.“
Die Veränderung muß nach der Wahl eingetreten sein. Der Zweck der
Verfassungsvorschrift ist, zu vermeiden, daß Abgeordnete durch Berufung in den
Staatsdienst oder durch Beförderung in diesem beeinflußt werden. Der Wahlkreis
soll die Möglichkeit haben, durch Wiederwahl oder Nichtwahl auszusprechen, ob er
auch nach der Berufung oder Beförderung durch den bisherigen Abgeordneten ver-
treten sein will. Die Vorschrift gilt für den Civil= wie für den Militärdienst
(Sten. Ber. des Reichstages 1873, S. 98), und zwar gleichviel, ob Reichs= oder
Staatsdienst; sie gilt nicht für den Hofdienst, weil Hofämter keine Staatsämter
sind (Sten. Ber. des Reichstages 1878, S. 210, 1880, S. 439, 1883. S. 347
und 1893, S. 1323). Sie gilt ferner nicht für den Kirchen= und Communal-=
dienst #. Das Mandat geht nur verloren, wenn mit dem neuen Amt ein höherer
1 Siehe auch Seydel, in Hirth's Annalen und 18 der Preuß. Verfassungsurkunde vom
1880, S. 397, Laband, I, S. 301, Zorn, I,31. Juni 1850, ferner Erk. des Oberverwaltungs-
S. 220, G. Meyer, Staatsrecht, S. 370. gerichts vom 4. October 1881 und vom 27. Sep-
Die Kirchenbeamten, Geistlichen u. s. w. sind tember 1890, Entsch. Bd. VIII, S. 390 und
in Preußen nicht Staatsbeamte; vgl. die in-Bd. XX, S. 451, Arndt, Preuß. Verf.-Urk.,
zwischen allerdings aufgehobenen Art. 15, 16 S. 279.