128 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches.
Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist, also nicht, wenn der Abgeordnete
persönlich, in seinem bisherigen Amte einen höheren Rang (der Richter wurde zum
Gerichtsrath) oder perfönlich ein höheres Gehalt erhält (Sten. Ber. des Reichstages
1873, S. 98, 1875, S. 934). Da das Amt eines Oberlandesgerichtsraths als
solches höher im Rang und im Gehalt war als das eines Landesgerichtsraths, so
ging der Abgeordnete trotz der Gleichheit des persönlichen Ranges durch die Er-
nennung zum Oberlandesgerichtsrathe seines Mandats verlustig, auch wenn er als
solcher zunächst nur wieder das gleiche Gehalt bekommt. Die Neuübertragung
einer etatsmäßigen Remuneration oder eines anderen besoldeten Nebenamts
hat gleichfalls den Verlust des Mandats zur Folge. Vorübergehende Ver-
wendung im Reichs= oder Staatsdienste ohne besondere Anstellung ist kein Amt und
hat daher keinen Einfluß auf die Mitgliedschaft. Die Annahme eines zweiten
Amtes, sowie der Tausch zwischen Staats= und Reichsamt zieht den Verlust der
Mitgliedschaft nach sich (vgl. Sten. Ber. des Reichstages 1880, S. 448, und
Seydel, in Hirth's Annalen 1880, S. 399, Anm. 3). Das preußische Ab-
geordnetenhaus hatte nach Vorstehendem in Anwendung der gleichlautenden Vorschrift
der Preußischen Verfassung mit Recht angenommen, daß ein Richter oder ein Land-
rath das Mandat verlieren, wenn fie durch Versetzung in eine andere Provinz
wegen der veränderten Anciennitätsverhältnisse eine höhere Gehaltsstufe erreichten
(denn hier war mit dem Amte selbst ein höheres Gehalt verbunden), daß dagegen
pensionirte Beamte, wenn fie eine kommissarische Beschäftigung erhalten, oder active
Beamte, wenn ihnen ein höheres Amt nur kommissarisch gegen Remuneration über-
tragen wird, ihre Abgeordneteneigenschaft behalten.
Der Verlust der Mitgliedschaft tritt in solchen Fällen ipso jure zu. Im Zweifel
entscheidet der Reichstag, und zwar endgültig.
Wegen fortgesetzten Fortbleibens von den Sitzungen oder wegen Verletzung der
Ordnung kann kein Abgeordneter seiner Migliedva verlustig erklärt werden
(Sten. Ber. des Reichstages 1868, S. 296, 454 ff.). Nach § 60, Abs. 3 der Ge-
schäftsordnung für den Reichstag (beschlossen am 16. Februar 1895, Sten. Ber.
S. 931 ff.) kann ein Mitglied im Falle gröblicher Verletzung der Ordnung durch
den Präfidenten von der Sitzung (also nur von derjenigen, in der er die Ordnung
röblich verletzt hat) ausgeschlossen werden. Wenn während der Dauer der Aus-
shliehung in anderen als Geschäftsordnungsfragen eine Abstimmung erfolgt ist, bei
welcher die Stimme des ausgeschlossenen Mitgliedes den Ausschlag hätte geben
können, so muß die Abstimmung in der nächsten Sitzung wiederholt werden.
Sicherung der Wahlfreiheit.
Damit die Stimmen bei Reichstagswahlen frei, d. h. nach dem eigenen Willen
des Wählenden abgegeben werden, enthält das Strafsgesetzbuch verschiedene Vor-
schriften. § 107:
„Wer einen Deutschen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer
strasbaren Handlung verhindert, in Ausübung seine staatsbürgerlichen Rechte
zu wählen oder zu stimmen, wird mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten
oder mit Festungshaft bis zu fünf Jahren bestraft.“ — „Der Versuch ist strafbar.“
Jeder Zwang, in einem bestimmten Sinne zu wählen, schließt die Verhinderung
in sich, in Ausübung seiner staatsbürgerlichen Rechte, d. h. frei zu wählen, und fällt
mithin unter § 107. Die Verhinderung, Wahlreden zu halten, Flugschriften oder
Stimmzettel zu vertheilen, gehört nicht hierher. Der § 107 paßt dagegen auch auf den
Fall, daß ein Reichstagsabgeordneter gezwungen werden soll, in einem bestimmten
Sinne zu stimmen. § 106 des Strafgesetzbuches betrifft nur den Fall, daß er
überhaupt am Stimmen verhindert werden soll. Die Dauer der Festungshaft ist
nur nach oben begrenzt, im Falle des § 107 kann auf Festungshaft von einem
Tage an erkannt werden.
Die angedrohte Strafe des § 107 tritt auch ein (gemäß Strafgesetzbuch § 339,
Abs. 3), wenn die Handlung von einem Beamten, wenn auch ohne Gewalt oder
1 Vor dem All. Erlasse vom 27. Jan. 1898 (Preuß. Ges.-S. 1898, S. 5).