8 20. Die Rechte des deutschen Reichstages. 133
„Schließung“ (vgl. auch das Erkenntniß des Reichsgerichts vom 25. Februar 1892
in den Entsch, des Reichsgerichts in Strafsachen, Bd. XXII, S. 379 ff., Seydel,
in Hirth's Annalen 1880, S. 407, Laband, Reichsstaatsrecht, S. 302, Arndt,
Komm. zur Reichsverfassung, S. 155, G. Meyer, Lehrbuch des Staatsrechtes,
S. 393, Zorn, Reichsstaatsrecht, I., S. 423). Man bezeichnet die Wirkung, welche
sich mit der Schließung verbindet, als „Discontinuität“". Im Falle der
Schließung gilt die neue Sitzung nicht als Continuation der alten, während im
Falle der Schließung der nach der Vertagung wieder zusammentretende Reichstag
als die Continuation der alten gilt. Ausnahmen von dem Grundsatze der Dis-
continuität können nur auf Grund eines Gesetzes stattfinden. Solche Gesetze find
mehrfach ergangen: am 23. Dezember 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 194) und am
1. und 20. Februar 1876 (R.-G.-Bl. 1876, S. 15 und 28). Es erscheint fraglich,
ob diese Gesetze als verfassungändernde erlassen werden müssen. Handelt es
sich darum, daß nach Ablauf der Legislaturperiode die Continuität fortgeführt
werden soll, so ist zweisellos ein verfassungänderndes Gesetz nöthig, weil die Dauer
der Legislaturperiode auf einer Verfassungsvorschrift (Art. 24, Satz 1) beruht;
s. auch Seydel, Comm., S. 204f . In den anderen Fällen erscheint gleichfalls
ein solches Gesetz nothwendig, nicht weil es sich um Aenderung eines Satzes, etwa
des Gewohnheitsrechts oder des parlamentarischen Brauchs oder der Geschäfts-
ordnung für den Reichstag, handelt, sondern weil es sich darum handelt, die
„Schließung“, von welcher die Verfassung spricht, und die keinen anderen Sinn
hat und haben kann, als den Reichstag und seine gesammte Thätigkeit zu be-
endigen, in einer gewissen Hinsicht nicht als Schließung wirken zu lassen.
Da die Vertagung auch im Sinne des Vertagtwerdens den Reichstag nicht
schließt, sondern nur seine Thätigkeit suspendirt, so muß behauptet werden, daß
sie die Thätigkeit der Reichstagskommission während der Vertagung nicht aus-
schließt. Dies hat der Reichstag durch Beschluß vom 28. September 1890 an-
erkannt (Sten. Ber. S. 654), ohne daß die verbündeten Regierungen dagegen Ein-
spruch erhoben haben; ebenso Laband, Reichsstaatsrecht, und das Reichsgericht in
der mehrfach citirten Entscheidung vom 25. Februar 1892; anderer Meinung
G. Meyer, Lehrbuch, § 131, Anm. 6. Selbst den Fall gesetzt, daß der Kaiser den
Neichstag zu dem Zwecke vertagt hat, um während der Vertagung Interpellationen
oder Beschlüsse des Reichstages zu vermeiden, so liegt doch kein Grund vor, anzunehmen,
daß die Regierungen auch Kommissionsberathungen oder Kommisfionsbeschlüsse —
die nur Vorbereitung für Reichstagsbeschlüsse sein können — während der Vertagung
vermieden sehen wollen; vgl. auch Sten. Ber. des Reichstages 1882, S. 511 ff.
Die Regierungen können, wenn sie wollen, die Thätigkeit auch der Kommisstonen
durch Schließung, indeß nur durch Schließung herbeiführen. Während der Ver-
tagung bleibt die Abgeordnetenqualität mit ihren Folgen (Immunität) bestehen
(Arndt, Komm. zur Reichsverfassung, S. 159, Seydel, in Hirth's Annalen
1880, S. 352, Anm. 11, Laband, 1. S. 332, G. Meyer, Staatsrecht, § 123,
Anm. 13, und das erwähnte Erkenntniß des Reichsgerichts vom 25. Febr. 1892).
Legislaturperiode.
Die Legislaturperiode des Reichstages war ursprünglich eine drei-
jährige; seit dem Gesetze, betreffend die Abänderung des Artikels 24 der Reichs-
verfassung, vom 19. März 1888 (R.-G.-Bl. 1888, S. 110) dauert die Legislatur-
veriode des Reichstages fünf Jahre, gleichviel, ob der Reichstag nach Ablauf der
Legislaturperiode des vorigen oder nach dessen Auflösung gewählt ist. Durch das
Gesetz vom 21. Juli 1870 (B.-G.-Bl. 1870, S. 498) war bereits ein Mal die
Legislaturperiode über die verfassungsmäßige Zeit hinaus verlängert worden. Die
herrschende Ansicht (Georg Meyer, Lehrbuch des Staatsrechts, § 102, S. 261,
Laband, Reichsstaatsrecht, 1. S. 316, Seydel, Comm., S. 204, v. Rönne,
Reichsstaatsrecht, § 29, S. 252, Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen
Bundes, S. 160, H. Schulze, in Marquardsen's Handbuch, S. 54, u. A.) be-
rechnet die Legislaturperiode vom Tage der allgemeinen Wahlen und gründet ihre