136 Drittes Buch. Die Organisatien des Deutschen Reiches.
(Arndt, Komm., S. 154, Seydel, Comm., S. 206, Laband, Reichsstaats-
recht, I, S. 308, Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes,
S. 165, u. A. m.). Da indeß Artikel 25 vorschreibt, daß im Falle der Auflösung
des Reichstages der Reichstag innerhalb eines Zeitraumes von 90 Tagen nach der
Auflöfung versammelt sein muß, so würde ein nach Auflösung neugewählter Reichs-
tag vor dem ersten Zusammentreten nur unter Verletzung des Artikels 25 aufgelöst
werden können (vgl. auch Arndt, l. c., und Seydel, Comm., S. 206). Die
Auflösung hat ipso jure die Schließung des Reichstages und die Aufhebung des Ab-
geordnetenmandats mit seinen Privilegien zur Folge. Ein aufgelöster Reichstag
existirt somit nicht mehr und kann nie wieder zusammenberusen werden (Arndt,
Komm., S. 154, Seydel, Comm., S. 205, Laband, Reichsstaatsrecht, I. S. 304,
G. Meyer, § 130, Anm. 5, Zorn, Reichsstaatsrecht, I. S. 221, Anm. 17;
anderer Ansicht Thudichum, Verfassungsrecht des Norddeutschen Bundes, S. 165).
Die Zahl der Auflösungen ist in das Ermessen von Kaiser und Bundesrath
gestellt. Auch ein neugewählter, wenn auch noch nicht zusammengetretener Reichstag
kann, soweit der Fall des Artikels 25 nicht vorliegt, aufgelöst werden. Wenn
v. Rönne in seinem Preußischen Staatsrecht, 4. Aufl., S. 285, aus allgemeinen
Gründen für das preußische Abgeordnetenhaus die entgegengesetzte Ansicht vertritt,
so ist zu entgegnen einmal, daß das Recht zur Auflösung nur in der Vorschrift
des Artikels 25 der Reichsverfassung (Art. 51 der Preuß. Verfassung) eine indirecte,
sonst aber keine Einschränkung gefunden hat, folglich eine solche auch nicht an-
erkannt werden kann, und sodann, daß allen seinen Argumentationen stets das
nirgends im Reiche und in Preußen recipirte Princip der Volkssouveränetät zu.
Grunde liegt !7.
Muß der Kaiser in Person eröffnen?
Nach Artikel 77 der Preußischen Verfassungsurkunde brauchen die Eröffnung
und die Schließung der Kammern nicht durch den König in Person zu erfolgen,
sie köonnen „auch durch einen dazu von ihm beauftragten Minister“ geschehen.
Artikel 12 der Reichsverfassung hat keine solche Vorschrift, und es entsteht daher
die Frage, ob der Kaiser stets in Person den Reichstag eröffnen muß, oder ob er
damit auch einen Anderen, z. B. den Reichskanzler oder einen Staatssecretär, be-
auftragen darf. Für die Statthaftigkeit der Stellvertretung sprechen die im Reichs-
tage wie in der Theorie unbeanstandet gebliebene Praxis und sodann der Umstand,
daß Artikel 12 lediglich bezweckte, im Verhältnisse zu den übrigen Re-
gierungen Eröffnung und Schließung als des Kaisers Recht hinzustellen,
keineswegs aber vorschreiben wollte, daß dieses Recht stets in Person ausgeübt
werden müßte, woran die übrigen Regierungen auch kein Interesse hatten 7.
Tag der Wahl.
§ 14 des Wahlgesetzes vom 31. Mai 1869 bestimmt, daß die allgemeinen
Wahlen im ganzen Bundesgebiete an dem von dem Bundespräsidium bestimmten
Tage vorzunehmen fsind. Weder die Reichsverfafsung, noch das Wahlgesetz treffen
Vorschriften, an welchem Tage das Präfidium (der Kaiser) die Wahlen vornehmen
lassen muß. Eine Ausnahme macht lediglich der Fall, daß früher der Reichstag
aufgelöst ist, da für diesen Fall in Artikel 25 nähere Bestimmungen getroffen find.
1 Der gleichen Ansicht, wie ich, ist für das ordnungsrecht, S. 169 ff. Ein Beispiel, wo die
preußische Staatsrecht selbst der sonst auf dem Verfossung ein Recht dem Kaiser giebt, was in
v. Rönne'schen Boden stehende Schwartz, Comm.der Praxis durch den Neichstaniter ausgeübt
zur preuß. Verfassung, S. 147. wird, ist in Artikel 50, Abs. 2 der Reichsver-
* Die Frage fällt zusammen mit der, ob im fassung gegeben; vgl. hierzu Arndt, Ver-
Zweifel, d. h. wenn kein Geset entge ensteht, ordnungsrecht, S. 176 f., Derselbe, Komm. zur
verfassungs= oder gesetzmäßige Befugnisse fub- Reichsverfa ung. S. 218, und dagegen Seydel,
de eint werden können, was mit eingehender Komm., S. 292, 293.
Begründung bejaht wird von Arndt, Ver-