Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 20. Die Rechte des deutschen Reichstages. 143 
die Leistung einer Quantität vertretbarer Sachen oder Werthpapiere erzwungen 
werden soll. Indessen giebt es noch Fälle der Civilhaft: zur Erzwingung eines 
Zeugnisses oder eines Zeugeneides (Civilproceßordnung § 345 bezw. § 380 der 
am 1. Januar 1900 in Kraft tretenden Civilproceßordnung), zur Erzwingung einer 
ausschließlich durch den Schuldner erfüllbaren Handlung (Civilproceßordnung 
§ 774 bezw. §§ 888 und 889 der am 1. Januar 1900 in Kraft tretenden Civil= 
proceßordnung), bei Weigerung des Offenbarungseides (Civilproceßordnung § 782 
bezw. § 901) und der persönliche Sicherheitsarrest (das. § 798 bezw. § 918). 
Diese Civilhaft ist entweder ohne Weiteres unstatthaft gegen Mitglieder des Reichs- 
tages während der Sitzungsperiode, sofern nicht der Reichstag ausdrücklich die 
Vollstreckung genehmigt (Civilproceßordnung § 785, Ziffer 1 das. bezw. § 904, 
Ziffer 1 der am 1. Januar 1900 in Kraft tretenden), oder sie wird, wenn der 
Neichstag dies verlangt, unterbrochen (§ 786, Ziffer 1 das. und bezw. § 905, 
Ziffer 1). Die Civilhaft besteht ferner noch, wenn der Gemeinschuldner die ihm 
vom Gesetze auferlegten Pflichten nicht erfüllt, oder wenn es zur Sicherung der 
Masse nöthig ist (Concursordnung §§ 93 und 98 bezw. §§ 101 und 106 der am 
1. Januar 1900 in Kraft tretenden). Auch in diesem Falle könnte die Verhaftung 
nur mit Genehmigung des Reichstages erfolgen, wenn man nicht annimmt, daß 
dee tliesschast durch die Concurseröffnung ohne Weiteres erloschen ist (s. oben 
. 127). 
Ein ferneres besonderes Recht ist den Reichstagsabgeordneten dadurch gewährt, 
daß während der Sitzungsperiode und des Aufenthalts am Orte der Versammlung 
zu ihrer Vernehmung als Zeuge oder Sachverständiger aufßer Berlin in 
einem Civil= oder Strafverfahren die Genehmigung des Reichstages erforderlich ist 
(6§ 347, 367 bezw. der am 1. Januar 1900 in Kraft tretenden §§ 382 und 402 
und Strafproceßordnung §§ 49 und 72). Wird das Zeugniß oder die Eides- 
leistung von einem Reichstagsmitgliede in einem Falle, in dem es sich vernehmen 
lassen muß, rechtswidrig geweigert, so treten die in § 353 bezw. 390 der Civil-= 
und § 69 der Strafproceßordnung vorgeschriebenen Folgen ein. Weigert es sich 
im gleichen Falle ohne Grund zur Erstattung eines Gutachtens, so kommen § 374 
bezw. 409 der Civil- und § 77 der Strafproceßordnung zur Anwendung. Es 
handelt sich in diesen Fällen nicht um ein Zzur Untersuchung ziehen", noch um 
eine Untersuchungshaft, sondern entweder um eine vollstreckbare Strafe oder ein 
Zwangsmittel. Daß in solchen Fällen die Haft auch gegen ein Reichstagsmitglied 
ohne Einschränkung statthaft ist, ergiebt sich daraus, daß sonst der Abgeordnete die 
Befugniß hätte, Processe ungebührlich zu verschleppen, vor Allem daraus, daß die 
Haft für solche Fälle auch bei Abgeordneten gesetzlich nicht ausgeschlossen ist, wie 
dod in den Fällen der §§ 785 und 786 bezw. 904, 905 der Civilproceßordnung 
geschieht. 
Ferner dürfen Reichstagsabgeordnete wie alle Mitglieder einer deutschen gesetz- 
gebenden Versammlung die Berufung zum Amte eines Schöffen oder Ge- 
schworenen ablehnen (Gerichtsverfassungsgesetz §5 35 und 85), desgleichen eines 
Beisitzers eines Seeamtes (Ges. vom 27. Juli 1877, betr. die Untersuchung von 
Seeunfällen, R.-G.-Bl. 1877, S. 549, § 10). Mitglied einer gesetzgebenden Ver- 
sammlung ist der Abgeordnete aber nur während der Dauer der Sitzungsperiode, 
also auch während der Vertagung, nicht aber nach Schließung der Sitzungsperiode. 
Alle diese Rechte stehen nicht den Reichstagsmitgliedern, sondern nur dem 
Reichstage zu. Der Verzicht des einzel nen Reichstagsmitgliedes ist unerheblich. 
Auf das Verlangen des Reichstages muß daher z. B. jedes Untersuchungsverfahren 
gegen einen Abgeordneten eingestellt werden, selbst in dem Falle, daß das be- 
bossiende Reichstagsmitglied Widerspruch dagegen erhebt; vgl. auch Laband, I, 
. 314. 
Diätenverbot. 
Artikel 32 der Reichsverfassung schreibt vor: „Die Mitglieder des 
Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung
	        
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