Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

ß 21. Die Zuständigkeit des deutschen Reichstages. 149 
enthalten, daß Präfident, Vicepräsidenten und Schriftführer lediglich durch Wahl 
des Reichstages bestellt werden, daß solche Wahlen nicht etwa der Bestätigung 
irgend Jemandes bedürfen, noch daß der Reichstag nur ein Präsentationsrecht, die 
sbbchrsgierung dagegen das Ernennungsrecht rücksichtlich der Mitglieder des Präfi- 
iums habe 1. 
Die Geschäftsordnung, welche der Reichstag erlassen kann, ist eben deshalb, 
weil sie nicht von der Verfassung oder der Gesetzgebung erlassen wird, nur inner- 
halb der durch die Verfassung und die Gesetzgebung gezogenen Grenzen rechts- 
gültig. Sie bindet auch nur die Reichstagsmitglieder, sonst Niemanden. Den 
Reichstag selbst bindet sie insoweit nicht, als er sie jeder Zeit wieder ab- 
öändern kann. 
Aus diesen Gründen gilt vor der Geschäftsordnung, was die Reichsverfassung 
über die Verhandlungen und Beschlüsse des Reichstages bestimmt, so die bereits 
besprochene Vorschrift in Satz 1 des Art. 22, daß die Verhandlungen des Reichs- 
ug- öffentlich sind. Es gilt ferner als absolut verbindlicher Verfassungswille 
rt. 28: 
„Der Reichstag beschließt nach absoluter Stimmenmehrheit. Zur Gültig- 
keit der Beschlußfassung ist die Anwesenheit der Mehrheit der gesetzlichen 
Anzahl der Mitglieder erforderlich.“ 
Dieser Artikel lautete im Regierungsentwurf (Art. 26) ebenso, nur fehlten die 
Worte „der gesetzlichen Anzahl“. Diese Worte wurden auf Antrag des Abgeordneten 
Dr. Harnier am 30. März 1867 eingefügt (Sten. Ber. des verfassungsberathenden 
Reichstages 1867, S. 467 und Drucks. Nr. 119) und waren durch den Hinweis 
auf die entsprechende Vorschrift in Art. 80 der Preußischen Verfassung begründet. 
Dieser lautet: 
„Keine der beiden Kammern * kann einen Beschluß fassen, wenn nicht 
die Mehrheit der gesetzlichen Anzahl ihrer Mitglieder anwesend ist. Jede 
Kammer faßt ihre Beschlüsse nach absoluter Stimmenmehrheit, vorbehalt- 
* der durch die Geschäftsordnung für Wahlen etwa zu bestimmenden Aus- 
nahmen.“ 
Die gesetzliche Anzahl der Mitglieder bedeutet die Soll-, nicht die Ist zahl. 
Es kommt nicht darauf an, ob Sitze durch Tod, Verzicht oder andere Gründe er- 
ledigt oder durch Nichteintreten noch nicht angenommen find. Die gesetzliche Anzahl 
der Mitglieder des preußischen Abgeordnetenhauses beträgt auf Grund Art. 69 der 
Verfassung und der Gesetze vom 30. April 1851 (G.-S. 1851, S. 213) (Hohen- 
zollern), vom 17. Mai 1867 (G.-S. 1867, S. 1481) (die 1866 erworbenen 
Landestheile) und vom 23. Juni 1876 (G.-S. 1876, S. 169 (Lauenburg) 433; 
f. Arndt, Komm. zur Preuß. Verf., S. 131. Die Mehrheit, die anwesend sein 
muß, damit ein gültiger Beschluß vom Abgeordnetenhause gefaßt werden kann, be- 
trägt sonach mindestens 217, gleichviel aus wieviel Mitgliedern thatsächlich das 
Abgeordnetenhaus besteht, insbesondere ohne Rücksicht auf den Wegfall durch Aus- 
scheiden oder Verlust. Dies ist unstreitig, Arndt, Komm. zur Preuß. Verfass., 
S. 139 (Anm. 2 zu Art. 80), v. Rönne, Preuß. Staatsrecht, 4. Aufl., I, § 64, 
Dr. Schwartz, Kommentar zur Preuß. Verf., S. 233. Daher muß an- 
genommen werden, daß die gesetzliche Zahl der Reichstagsmitglieder 397 ist, daß 
  
  
können nur durch Gesetz abgeändert werden; 1 In einigen Staaten werden die Präsidenten 
—* in Bayern, Ges. v. 19. Juni 1872, der Kammern vom Staatsoberhaupte ernannt, 
Geschäftsgang des Landtages betreffend, in in Bayern, Württemberg und Baden 
Sachsen, sächsische Landtagsordnung vom der erste Präsident der I. Kammer; ebenso im 
K Odber 1874, im Großherzogthum Hessen, Großherzogthum Hessen. In anderen Staaten, 
Ecey, die landständische Geschäftsordnung be-so in Sachsen = Altenburg, Anhalt und 
treffend, vom 17. Juni 1874, ferner in Sachsen-Braunschweig, werden Präsidenten aus den 
Weimar, Sachsen -Meiningen, Sachsen- dazu Präsentirten ernannt oder bestätigt; siehe 
Altenburg. Sachsen-Kobur Gotho, G. Meyer, 4. Aufl., 5 104, Anm. 7 u. 8. 
Braunschweig, Oldenburg, Anhalt, 2 Für das Herrenhaus gilt jetzt Gesetz vom 
Schwarzburg-Sondershausen; fiehe auch 30. Mai 1855 (G.-S. 1855, S. 316), nach wel- 
G. Meyer, Lehrbuch des deutschen Staatsr.,chem die Anwesenheit schon, von sechzig Mit- 
4. Aufl., § 104, Anm. 2. gliedern genügt. 
 
	        
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