Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

154 Drittes Buch. Die Organisation des Deutschen Reiches. 
Versammlung auf die Anfrage des Präsidenten ohne Debatte beschließen, daß ihm 
das Wort über den vorliegenden Gegenstand genommen werden solle, wenn er 
zuvor auf diese Folge vom Präsidenten aufmerksam gemacht ist (§ 46). Bei allen 
Diskussionen ertheilt der Präsident demjenigen Mitglied das Wort, welches nach 
Eröffnung der Diskussion oder nach Beendigung der vorhergehenden Rede zuerst 
darum nachsuchte! (§ 47). Nimmt ein Vertreter des Bundesrathes nach dem 
Schlusse der Diskussion das Wort, so gilt diese auf's Neue für eröffnet. Antrag- 
steller und Berichterstatter erhalten, wenn fie es verlangen, das Wort sowohl am 
Beginne, wie nach dem Schlusse der Diskussion (§ 48). Abänderungs-Vorschläge 
(Amendements) oder Anträge auf motivirte Tagesordnung können zu jeder Zeit vor 
dem Schlufsse der Verhandlungen gestellt werden. Dieselben müssen mit der Haupt- 
frage in wesentlicher Verbindung stehen und werden dem Präsidenten schriftlich 
übergeben (§ 49). Ueber Amendements und Anträge aus motivirte Tagesordnung, welche 
dem Reichstage nicht gedruckt vorgelegen haben, muß, sofern sie angenommen werden, 
in der nächsten Sitzung nach deren erfolgtem Drucke und Vertheilung nochmals 
ohne Diskussion abgestimmt werden. Dies findet auch dann Anwendung, wenn 
solche Amendements oder Anträge bereits in dem Kommissions-Bericht als Minoritäts- 
Anträge erwähnt sind. Bilden die angenommenen Amendements einen Theil der 
dem Reichstage vorzulegenden gedruckten Zusammenstellungen, so bedarf es eines 
besonderen Abdruckes derselben nicht. In diesem Falle muß der Abstimmung über 
das Ganze eine nochmalige Abstimmung über diejenigen angenommenen Anträge 
vorhergehen, welche dem Reichstage noch nicht gedruckt vorgelegen haben — aus- 
genommen in der Regel bei Amendements zu Petitions-Berichten — (§ 50). Der 
Präsident stellt die Fragen; über die Stellung derselben kann das Wort begehrt 
werden. Der Reichstag beschließt darüber. Sind mehrere Fragen vorhanden, so 
hat der Präßident solche sämmtlich der Reihenfolge nach vorzulegen. Die Fragen 
sind so zu stellen, daß sie einfach durch Ja oder Nein beantwortet werden können. 
Bei Stimmengleichheit wird die Frage als verneint angesehen (§ 51). Die Theilung 
der Frage kann jeder Einzelne verlangen. Wenn über deren Zulässigkeit Zweifel 
entstehen, so entscheidet bei Anträgen der Antragsteller, in allen anderen Fällen 
der Reichstag (§ 52). Der Antrag auf die Vertagung? oder auf den Schluß der 
Debatte bedarf der Unterstützung von 30 Mitgliedern. Wenn folche erfolgt, so 
wird demnächst ohne weitere Motivirung des Antrages und ohne Diskussion über 
denselben abgestimmt. Der Antrag auf einfache Tagesordnung kann zu jeder Zeit 
gestellt werden und bedarf keiner Unterstützung. Nachdem ein Redner für und ein 
Redner gegen denselben gehört worden, erfolgt darüber der Beschluß der Versamm- 
lung. Im Laufe derselben Diskussion darf der einmal verworfene Antrag auf 
Tagesordnung nicht wiederholt werden. Die Anträge auf motivirte Tagesordnung 
find vor den übrigen Amendements zur Abstimmung zu bringen. Ueber Anträge 
des Bundesrathes kann nicht zur Tagesordnung übergegangen werden (§ 53). Die 
Abstimmung geschieht nach absoluter Mehrheit durch Aufstehen oder Sitzenbleiben. 
Ist das Ergebniß nach der Ansicht des Präsidenten oder eines der fungirenden 
Schriftführer zweifelhaft, so wird die Gegenprobe gemacht. Liefert auch diese noch 
kein sicheres Ergebniß, so erfolgt die Zählung des Hauses (§ 55). Die Zählung 
geschieht in der nachstehend angegebenen Weise: Der Präsident fordert die Mit- 
glieder auf, den Saal zu verlassen. Sobald dies geschehen, find die Thüren zu 
schließen mit Ausnahme einer der Thüren an der Ost= und einer an der Westseite. 
An jeder dieser beiden Thüren stellen sich je zwei Schriftführer auf. Auf ein vom 
Präsidenten mit der Glocke gegebenes Zeichen treten diejenigen Mitglieder, welche 
mit „Ja“ stimmen wollen, durch die Thüre an der ÖOstseite, rechts vom Bureau, 
diejenigen, welche mit „Nein“ stimmen wollen, durch die Thüre an der Westseite, 
links vom Bureau, in den Saal ein. Die an jeder der beiden Thüren stehenden 
zwei Schriftführer zählen laut die eintretenden Mitglieder. Demnächst giebt der 
Präsident ein Zeichen mit der Glocke, schließt das Struktinium und läßt die Thüren 
—.— — 
1 Also besteht keine officielle Rednerlistee Im Sinne des „adjournment“, des Sich- 
mehr. vertagens (s. oben S. 131). 
 
	        
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