Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

168 Biertes Buch. Die Gesetzgebung des Deutschen Reiches. 
zusehen ist, so entscheidet darüber an letzter Stelle der Bundesrath auf Grund 
des Art. 7, Ziff. 3 der Reichsverfassung 1. Die Verordnungen, welche der Bundes- 
rath über Eisenbahnen erlassen hat, z. B. die Verkehrsordnung, das Eisenbahn- 
polizeireglement, finden daher auf Klein= und Lokalbahnen keine Anwendung ?. 
Zur Beaufsichtigung des Eisenbahnwesens, soweit es der Reichszuständigkeit unter- 
liegt, besteht das Reichseisenbahnamt, geschaffen durch Gesetz vom 27. Juni 1873 
(R.-G.-Bl. 1873, S. 164). Ob in seiner Einsetzung und seinen Funktionen eine 
Verfassungsverletzung (eine ohne Verfassungsänderung vorgenommene Zuständigkeits- 
erweiterung) liegt s, soll später untersucht werden. 
Zweifellos fällt die Anlegung des Nord-Ostsee-Kanals unter die Vorschrift 
in Ziff. 8 des Art. 4. Ebenso läßt sich mit „Zuversicht“ behaupten", daß dieser 
Kanal Staatseigenthum im Sinne des Absatz 4 in Art. 54 der Reichsverfassung 
ist. Staatseigenthum drückt hier nur den Gegensatz zum Privateigenthum aus. 
Für die Befahrung von Kanälen, die Staatseigenthum find, also ganz gewiß von 
solchen, die Reichseigenthum find, dürfen nur Abgaben erhoben werden, welche die 
zur Unterhaltung und gewöhnlichen Herstellung der Anstalten und Anlagen er- 
forderlichen Kosten nicht übersteigen. Dieser Satz findet sich schon in den Zoll- 
vereinigungsverträgen, z. B. in Art. 25 des Zollvereinigungsvertrages vom 8. Julie 
1867 (B.-G.-Bl. 1867, S. 81), woraus sich erklärt, daß im Reichseigenthum 
stehende Kanäle nicht erwähnt sind. 
Es untersteht 9) der Beaufsichtigung und Gesetzgebung des Reiches „der 
Flößerei= und Schiffahrtsbetrieb auf den mehreren Staaten gemeinsamen Wasser- 
straßen und der Zustand der letzteren, sowie die Fluß= und sonstigen Wasserzölle; 
desgleichen die Seeschiffahrtszeichen (Leuchtfeuer, Tonnen, Baken und sonstigen 
Tagesmarken)“. 
Gemeinsam ist die Wasserstraße nicht dann, wenn sie durch mehrere Bundes- 
staaten fließt, sondern nur, wenn sie gemeinsam als Wasserstraße ist, d. h. 
dem gemeinsamen nationalen Verkehre dient — unter dieser Voraussetzung aber 
auch, wenn sie nur in einem Bundesstaate liegt. Uebrigens war der Inhalt in 
Ziff. 9. abgesehen von dem Zusatze der Seeschiffahrtszeichen, bereits durch die Zoll- 
vereinigungsverträge geregelt“. 
Es unterliegt 10) der Reichsgesetzgebung „das Post= und Telegraphenwesen, 
jedoch in Bayern und Württemberg nur nach Maßgabe der Bestimmung im 
Artikel 52°“. Die Reichsverfassung definirt nicht, was unter den Begriff des Post- 
und Telegraphenwesens fällt. Nach dem herkömmlichen Sprachgebrauche versteht 
man darunter die öffentliche, d. h. für Jedermann stattfindende entgeltliche Be- 
förderung von Nachrichten (Briefen, Karten, Zeitschriften), Personen und Gütern. 
Der Begriff des Postwesens verlangt nicht unbedingt den Ausschluß einer Privat- 
person vom Betriebe, vielmehr gab es Posten von Privatpersonen, denen das Recht 
dazu allerdings einst staatlich verliehen war. Der Begriff des Post= und Tele- 
graphenwesens wird dadurch nicht ausgeschlossen, daß die Beförderung nicht von 
Ort zu Ort, sondern innerhalb desselben Ortes stattfindet, wenngleich das Post- 
monopol sich auf die Beförderung innerhalb defselben Ortes nicht bezieht. Es 
ist daher keine Verfassungsänderung, wenn die Zuständigkeit der Reichspost auf 
den Lokalverkehr (oder die Beförderung von offenen Briefen und Packeten) aus- 
gedehnt würde. Ob der im Jahre 1884 vorgeschlagene, aber nicht angenommene 
Entwurf eines Postsparkassengesetzes eine Verfassungsänderung enthielt, soll später 
geprüft werden 7. 
  
  
1 Arndt, I. c. S. 364. Primo loco ent= Hänel, Staatsrecht, I. S. 659 f. 
scheidet in Preußen darüber das Staats- 
ministerium. Ist das Reichseisenbahnamt an- 
derer Ansicht, so entscheidet als letzte Instanz 
der Bundesrath. 
2 S. auch Handelsgesetzbuch v. 1. Mai 1897 
(R.-G.-Bl. 1897, S. 219), § 473. 
2 Dies behauptet Seydel, Comm., S. 89, 
und in der Zeitschr. für deutsche Gesetzgebun 
u. s. w., Bd. VII, 1871, S. 615 ff.; f. an 
  
Vygl. Seydel, Comm., S. 90. 
* Die Worte von „desgleichen“ bis „Tages- 
marken“ beruhen auf Ccs. v. 3. März 1873 
(R.-G.-Bl. 1873, S. 47). 
E. oben S. 15. 
7 Vgl. hierzu Seydel, Comm., S. 91, 
Hänel, Staatsrecht, I. S. 415, Windthorst. 
in den. Sten. Ber. des Reichstages 1885, S. 811 
a. a. O.
	        
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