Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

180 Biertes Buch. Die Gesetzgebuug des Deutschen Reiches. 
sachlich nicht billigt. Seine Entlassung kann er daher in einem solchen Falle 
-fordern 1. 
Da die Vorlagen des Bundesrathes „im Namen des Kaisers“ an den Reichstag 
gebracht werden, so bedarf der Reichskanzler der Kaiserlichen Ermächtigung. 
Uebereinstimmung der Mehrheitsbeschlüsse liegt nur damnn vor, wenn Bundesrath 
und Reichstag in allen Theilen und vollständig über den Gesetzentwurf überein- 
stimmen. Besteht auch nur bezüglich eines Theiles oder eines einzigen Punktes eine 
Meinungsverschiedenheit, so ist kein übereinstimmender Mehrheitsbeschluß und also 
auch kein Gesetz zu Stande gekommen. 
Es entsteht nun die Frage, kann der Reichstag einen endgültig gefaßten Be- 
schluß über einen Gesetzentwurf zurückziehen? Diese Frage ist zu verneinen. 
Sobald ein Mehrheitsbeschluß vorliegt, kann der Bundesrath ihn seiner Beschluß- 
faffung (Art. 7, Ziff. 1) unterwerfen und ihm durch seine Zustimmung die 
Sanction als Gesetz ertheilen. Anders liegt es beim Bundesrathe. Zunächst ist 
es o und unstreitig, daß der Bundesrath, auch nachdem die Uebereinstimmung 
der Mehrheitsbeschlüsse der beiden Körperschaften stattgefunden hat, das Gesetzwerden 
der Vorlage verhindern kann; denn der Art. 7, Ziff. 2 giebt dem Bundesrath das 
Recht, „Über die von demselben (dem Reichstage) gefaßten Beschlüsse“ zu be- 
schließen. Dieses Recht ist uneingeschränkt, bezieht sich also auf alle Beschlüsse des 
Reichstages. auch auf die, welche in Uebereinstimmung mit dem Bundesrathe oder 
auf Antrag des Bundesrathes gefaßt sind. Dieses Recht enthält auch keine 
Anomalie; es ist das Recht, welches der Monarch in jedem constitutionellen Staate 
besitzt und das als Sanction bezeichnet wird. Mit anderen Worten: der Bundesrath 
kann jeden Gesetzentwurf, auch wenn sein Inhalt übereinstimmend von ihm #znd 
vom Reichstage festgestellt war, noch zurückziehen, ihm die Sanction verweigern; 
er kann beschließen, ihn nicht als Gesetz verkündigen zu lassen 2. Fraglich ist 
jedoch, ob der Bundesrath auch den bereits von ihm gefaßten Beschluß, dem 
Reichstage eine Vorlage zu machen, zurückziehen kann, bevor sie dem Reichstage 
gemacht ist. Auch diese Frage ist zu bejahen; nicht bloß, weil dies der Praxis 
entspricht, sondern auch, weil Ziff. 1 in Art. 7 ganz allgemein dem Bundesrathe 
das Recht giebt, „über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen“ zu beschließen. 
Wenn der Bundesrath doch den Gesetzentwurf hinterher nicht sanctioniren will, so 
hat es keinen Zweck, seine Vorlage noch erst an den Reichstag zu bringen. Win 
der Reichstag trotzdem die Sache berathen, so mag er von seinem Initiativrechte 
Gebrauch machen. Ist die Vorlage bereits dem Reichstage gemacht, so kann der 
Bundesrath zwar erklären, daß er auf deren Durchberathung keinen Werth lege, 
er kann fie indeß nicht mit der Wirkung zurückziehen, daß der Reichstag an deren 
Durchberathung und der Beschlußfaffung darüber gehindert wird. 
Von der Vorschrift in Artikel 5, daß die Uebereinstimmung der Mehrheits- 
beschlüsse von Bundesrath und Reichstag zu einem Reichsgesetze ausreichend sei, 
giebt es drei Ausnahmen: die erste betrifft Verfassungsänderungen, die zweite die 
Sonderrechte und die dritte das Veto des Präfidiums. 
An dieser Stelle soll nur die letzte Ausnahme behandelt werden. Abs. 2 in 
Art. 5 bestimmt: „Bei Gesetzesvorschlägen über das Militairwesen, die Kriegs- 
marine und die in Artikel 35 bezeichneten Abgaben giebt, wenn im Bundesrathe 
eine Meinungsverschiedenheit stattfindet, die Stimme des Präfidiums den Ausschlag, 
wenn sie sich für die Aufrechterhaltung der bestehenden Einrichtungen ausspeicht. 
Hiernach giebt das Präsidium, d. h. Preußen?, den Ausschlag, nicht bloß bei 
  
  
  
1 Vorstehendes kann Alles als unstreitig Bundesraths an den Reichstag *# bringen 
gelten, Laband,l, S. 511, Hänel, in Hirtht sDie Worte „nach Maßgabe der Beschlüsse wrur 
nnalen 1882. S. 14, Hänel, Studien I.Bundesraths“ find durch die (außerpreußischen) 
S. 46 ff., Schul e, Deu sches Staatsrecht, L, Conferenzbevollmäht ten veranlaßt worden. 
S. 116, Seydel, Comm., S. 171, und folgt Hierüber herrscht allseitige Uebereinstim- 
auch aus der Entstehun sgeschi te des Art. 16,mung; Herbber I. S. 513 f., Seydel, Comm., 
der in der Norddeutschen undesversaßung S. 137 f. 
lautete: „Das Präsidium hat die erforderlichen 2 Siehe oben S. 96. 
Vorlagen nach Maßgabe der Beschlüsse des 
 
	        
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