5 26. Erschwerte Gesetzgehnus u. s. w. 193
wie in der Theorie unstreitig 1. Damit steht es im Widerspruche, wenn die
Theorie" darin, daß die reglementarischen Festsetzungen und allgemeinen admini-
strativen Anordnungen, deren Erlaß nach Art. 50 der Reichsverfassung dem Kaiser
zusteht, gemäß § 50 des Gesetzes über das Postwesen vom 28. Oktober 1871
(N.-G.-Bl. 1871, S. 347) vom Reichskanzler und in einzelnen Fällen vom
Bundesrath erlassen werden, eine Verfassungsänderung und Verfassungsverletzung
erblickt. Hierbei ist zunächst zu beachten, daß Sinn und Zweck des Art. 50 dahin
gehen, dem Kaiser die obere Leitung der Post= und Telegraphenverwaltung und das
Verordnungsrecht auf diesem Gebiete zuzuweisen im Gegensatze zum Bundesrathe
und zu den Landesregierungen. Irgend welches Interesse daran, daß der Kaiser
in Person die Verwaltung leitet und in Person Anordnungen trifft, hatte kein
Bundesstaat, noch auch der Reichstag. Einem solchen Interesse ist in der Ver-
fassung auch nicht Ausdruck gegeben. Es giebt gewiß Gegenstände, von denen nach
Sinn und Wortlaut einer Verfassung anzunehmen ist, daß ihre Regelung vom
Staatsoberhaupte selbst geschehen muß, z. B. die Erklärung von Krieg und
Frieden, die Ausfertigung und Vollziehung der Gesetze. Es giebt aber auch
Gegenstände, bei denen es nur darauf ankommt, vorzuschreiben, ob sie durch Gesetz
oder Verordnung, ob fie durch den Gesammtstaat oder den Einzelstaat, ob sie durch
den Kaiser oder den Bundesrath zu regeln find. Liegen Fälle dieser letzteren Art
vor, so ist es keine Verfassungsverletzung, wenn nicht das Staatsoberhaupt in
Person, sondern wenn, soweit dies herkömmlich, in seinem Namen sein generell oder
speciell dazu ernannter Bevollmächtigter die Regelung vornimmt. In Preußen ist
es herkömmlich und staatsrechtlich zulässig", daß die Minister das dem Könige
zustehende Recht zum Erlasse von Verordnungen ausüben (Cabinets = Ordre vom
4. Juli 1832, G.-S. 1832, S. 181). Das preußische Recht in Bezug auf die
Abgrenzung des Gesetzes= und Verordnungsweges wird durch Art. 48, Abs. 2 der
Verfassung des Norddeutschen Bundes zugleich als norddeutsches Bundesrecht und
durch Art. 48, Abs. 2 der Reichsverfassung (mittelbar) zu Reichsrecht erklärt.
In Preußen haben die Post= und Telegraphenordnungen nicht die Monarchen,
sondern die Minister erlassen. Daraus folgt, daß, wenn die Bundes= oder Reichs-
verfassung den Erlaß solcher Verordnungen durch den Kaiser in Person und
den Ausschluß des Reichskanzlers gewollt hätten, sie dies irgendwie zum Aus-
drucke gebracht hätte. Der schlichte Sinn des Art. 50 geht dahin, daß die Vor-
schrift in Art. 7, Ziff. 2 der Reichsverfassung nicht zur Anwendung kommen, daß
also nicht dem Bundesrath und noch weniger den Landesregierungen, sondern dem
Kaiser das Verordnungsrecht auf dem Gebiete des Post= und Telegraphenwesens
zusteht, nicht aber dahin, daß der Kaiser nun selbst solche Verordnungen erlassen
soll. Der Kaiser hat nach Sinn und Wortlaut der Artikel 48 und 50 das
Verordnungsrecht auf dem gesetzfreien Gebiete, d. h. bei den Gegenständen, die der
Gesetzgeber bisher in Preußen und im Norddeutschen Bunde nicht selbst geregelt,
sondern dem Verordnungswege überlassen hat. Wo der Gegenstand dem Gesetze
unterlag und nach Art. 48 der Reichsverfassung unterliegt, stand und steht es
dem Gesetzgeber frei, die Anordnungen selbst zu erlassen oder irgend einen Anderen
mit ihrem Erlasse zu beauftragen. Daß dieser Andere nur und gerade der Kaiser
sein muß, ist nirgends vorgeschrieben. Aus Art. 50, Abs. 2 folgt es nicht. Der
—
1 Bgl. Gesetz, betr. die Rechtsverhältnisse der
Neichsbeamten vom 31. März 1873 (R.-G.-Bl.
1873, S. 61), Entsch. des Reichsgerichts in Civil=
sachen, Bd. I, S. 306, Bd. II, S. 101, La-
band, Reichsstaatsrecht, I, S. 396 f., Seydel,
Comm., S. 187.
! Laband, 1, S. 579, Anm. 3, Seydel,
Comm., S. 291.
!: Arndt, Verordnungerecht, §517, S. 169 ff.
Aundt, Preuß. Verf., S. 114. Die Statt-
haftigkeit einer solchen Subdelegation ist auch
Arudt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.
vielsach vom Oberverwaltungsgericht anerkannt
(Erk. vom 29. September 1870, Entsch. Bd. I,
S. 173). Es mag dahin gestellt bleiben, ob
das preußische Staatsrecht im Allgemeinen für
das Reichsrecht herangezogen werden darf. Ge-
wiß ist, daß diese Heranziehung auf dem Ge-
biete des Post= und Telegraphenwesens ver-
fassungsmäßig (Art. 48 der norddeutschen
Bundepverfüsfun) sogar ausdrücklich vorge-
geschrieben ist. Dies scheint Seydel, Comm.,
S. 292, zu übersehen.
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