288 Fünftes Buch. Die Verwaltung des Innern.
der Simulation vorzubeugen. Die Krankenkassen können die Krankenunter-
stützung innerhalb gewisser Grenzen erhöhen; so z. B. können sie die Carenztage
fallen lassen, die Dauer der Krankenunterstützung und des Krankengeldes bis zur Dauer
eines Jahres verlängern und Sterbegeld auch im Falle des Todes eines Angehörigen
gewähren. Andere Leistungen, z. B. Invalidenrenten, Wittwen-- und Waisenunter-
stützungen, dürfen sie nicht gewähren. Es kann gültig vorgeschrieben werden, daß
freie Kur und Arzenei nur von bestimmten Aerzten und Apotheken gewährt zu
werden brauchen 1. Es kann also die freie Arztwahl ausgeschlossen werden, ganz unbedingt
oder eingeschränkt. Das Krankengeld beträgt die Hälfte des Tagelohnes, bei der
Gemeindeversicherung die Hälfte des ortslüblichen Tagelohnes der gewöhnlichen
Tagearbeiter, bei den anderen Versicherungen die Hälfte des durchschnittlichen
Tagelohnes der versicherten Klasse, soweit er drei Mark für den Arbeitstag nicht
überschreitet. Das Sterbegeld beträgt den zwanzigfachen Betrag dieses durchschnitt-
lichen Tagelohnes, d. h. soweit er drei Mark für den Arbeitstag nicht überschreitet.
Neben der freien Kur und Arzenei (§ 6) find Brillen, Bruchbänder und ähnliche
Heilmittel zu gewähren. Dies find offenbar nur Beispiele. Principiell sind alle
zur Heilung der Krankheit erforderlichen Heilmittel zu gewähren (Kommissions-
bericht des Reichstages). Auf Brillen hat das Mitglied danach Anspruch, wenn
sie in Folge einer Erkrankung, nicht wenn sie in Folge natürlicher Anlagen noth-
wendig werden. Auch Wein und andere stärkende Mittel können unter Umständen
als Heilmittel angesehen werden. Künstliche Gliedmaßen find in der Regel
nicht als Heilmittel, sondern nur als Linderungs= oder Bequemlichkeitsmittel an-
zusehen 2. Für die obligatorischen, also die sog. Mindestleistungen, beginnt der
Anspruch auf die reichsgesetzlich vorgeschriebenen Unterstützungen mit dem Zeit-
punkte, in welchem Jemand Mitglied der Kasse geworden ist (§ 26). Diese Unter-
stützungen müssen den dem Versicherungszwange reichsgesetzlich Unterworfenen selbst
dann gewährt werden, wenn sie zu keiner Kasse angemeldet und Beiträge für sie
oder von ihnen niemals bezahlt find #. Kassenmitgliedern, die gleichzeitig ander-
weitig gegen Krankheit versichert sind, ist das Krankengeld soweit zu kürzen, als es
zusammen mit den aus anderweitiger Versicherung bezogenen Krankengeldern den
vollen Betrag ihres durchschnittlichen Tagelohnes übersteigen würde. Durch das
Kassenstatut kann diese Kürzung ganz oder theilweise ausgeschlossen werden (§ 26 a).
Krankenversicherungspflichtig sind ohne Rücksicht auf (Reichs-) Staatsangehörigkeit,
Alter und Geschlecht alle Arbeiter, Gesellen, Gehülfen und Lehrlinge, ferner die
Betriebsbeamten, Werkmeister, Techniker, Handlungsgehülfen und Handlungs-
lehrlinge, deren durchschnittlicher Tagesverdienst 6/ Mark nicht übersteigt (§ 1).
Ausgeschlossen find Personen des Soldatenstandes (§ 3), Beamte, für welche Gehalt
oder Lohn während der Dauer der Krankheit fortlaufen, regelmäßig auch Dienst-
boten. Auf Hausgewerbetreibende kann durch Ortsstatut die Versicherungspflicht
ausgedehnt werden (§ 2). Alle diese Personen find indeß nur versichert, wenn fie
in einem versicherungspflichtigen Betriebe stehen. Dies find Bergwerke, Salinen,
Aufbereitungsanstalten, Brüche, Gruben, Werften und Bauten, die Betriebe der
Marine= und Heeresverwaltungen, der Post und Telegraphie und der Eisenbahnen,
ferner die Handwerksbetriebe, das Handels-" und Transportgewerbe (§ 1) unter der
Voraussetzung, daß diese Betriebe innerhalb des Deutschen Reiches liegen, d. h.
der Betrieb des Unternehmers muß in Deutschland geführt werden. Daher ist auch z. B.
1 Doch kann die höhere Verwaltungsbehördee Die Arbeitgeber haben, wenn fie vorsät-
auf Antrag von mindestens 30 Versicherten die lich oder fahrlässig die ihnen obliegende An-
Gewährung der Kur und Arzenei durch weiteremeldung unterlassen haben, der Kasse die Unter-
als die von der Kasse bestimmten Aerzte, Apo= stützungen, welche diese in solchen Fällen gewährt
theken und Krankenhäuser verfügen, wenn durch hat, zu erstatten (§ 50).
die von der Kasse getroffenen Lnordnungen Handlungsgehülfen und Lehrlinge unter-
eine nicht genügende Gewährung gesichert ist liegen der Versicherungspflicht nur, sofern du
(6 56 a bes Krabkenversicherungsseßen Z Vertrag die ihnen nach dem Handelsgesetzbu
2 Ugl- Entsch. des Oberverwaltungsgerichts, justehenden Rechte aufgehoben oder beschränkt
Bd. XII, S. 20, der Arbeiterversorgung 1888, sind; s. Handelsgesetzbuch, §6 63, 76.
S. 85, 389 a. a. O. riorgung *(15 gesehbuch, 8§