6 35. Eisenbahnwesen. 309
Zeauwei Fragen find hierbei zu beantworten: die erste, ist der Verordnungs-
weg statthaft oder, anders ausgedrückt, durften die Reglements ohne Gesetz erlassen
werden? die zweite, durfte das Reich oder mußten die Bundesregierungen,
jede für sich, diese erlassen?
Bezüglich der ersteren Frage ist zu beachten, daß bereits Art. 4, Ziff. 8 der
Reichsverfassung der Gesetzgebung des Reiches das Eisenbahnwesen unterstellte,
daß daher die Art. 42 ff. ganz Überflüssig wären, wenn sie nur vorschreiben
wollten, daß ihr Inhalt durch Reichsgesetz verwirklicht werden sollte, oder wenn fie
nicht die sofortige Regelung des Gegenstandes im Verordnungswege vorschreiben
oder doch wenigstens zulassen wollten. So sagte der Abg. Miquel in den Sten.
Ber. des Reichstages 1870, Bd. II, S. 784:
„Die Specialartikel 41—47 der Norddeutschen Bundesverfassung dagegen
bezielen solche Bestimmungen, welche entweder sich nicht zur gesetzlichen
Regelung eignen oder aber, welche nicht zu ihrer Regelung eines be-
sonderen Zusatzes bedürfen“ (damit find die Art. 42—47 gemeint). „Wenn
in dem Art. 41 gesprochen wird von dem Rechte des Bundes, eine Eisen-
bahn auf Kosten des Bundes herzustellen, ohne daß die einzelnen Staaten
dagegen Widerspruch erheben können, so ist es klar, daß es hierzu eines
Specialgesetzes bedurfte“ (weil aus dem Rechte der Gesetzgebung über das
Eisenbahnwesen noch nicht die Befugniß für das Reich zur Anlegung einer
Eisenbahn folgt). — —
„Wenn in den Art. 42—44 gesprochen wird von der Verpflichtung,
welche die einzelnen Staaten unter sich contrahiren, ihre Eisenbahnen nach
einem gemeinsamen Plane verwalten zu lassen, die nöthigen Betriebs-
einrichtungen herzustellen, wenn ferner davon gesprochen wird, daß zu diesem
Behufe ein gleichartiges Bahnpolizeireglement erlassen werden solle,
so find das Specialbestimmungen, welche eine unmittelbare Aus-
führung zulassen auch ohne den Erlaß eines allgemeinen
Eisenbahngesetzes. Ich erinnere mich ganz bestimmt, daß auch in
diesem Sinne bei der Berathung der Norddeutschen Bundesverfassung ver-
fahren worden ist, daß man diese Artikel in diesem Sinne da-
mals aufgefaßt hat.“
Fernerer Beweis liegt in einer Rede des Abg. Michaelis, von dem die
jetzige Fassung der Art. 42 ff. im Wesentlichen herrührt. Derselbe stellte (Sten.
Ber. des verfassungsberathenden norddeutschen Reichstages S. 505) den (angenommenen)
Antrag, anstatt der im Entwurfe geforderten gleichen zu setzen „überein-
stimmende“ Betriebsreglements, um zu verhüten, daß dieselben „-zu un-
bedingt der Reglementirung des Bundes unterworfen“ seien; er erkannte
damit implicite an, daß sie — wenigstens die Bahnpolizeireglements, in Ansehung
deren die ursprüngliche Fassung „gleichen“ beibehalten wurde, daß fie der
Reglementirung, d. h. dem Verordnungswege, überlassen werden sollten.
Am 5. Mai 1869 nahm der Reichstag den Antrag v. Luck, v. Bredow
und Genossen an (Sten. Ber., II, S. 882):
„den Bundeskanzler (d. h. als Vorsitzenden des Bundesraths) zu ersuchen,
baldthunlichst die in den Art. 41—47“ (muß meines Erachtens heißen
42—47) „der Verfassung des Norddeutschen Bundes enthaltenen Be-
stimmungen durch Erlaß der erforderlichen reglementarischen Fest-
setzungen und allgemeinen administrativen Anordnungen
in's Leben treten zu lassen.“
Der Reichstag hat also selbst anerkannt, daß er bei Erlaß dieser Reglements
nicht mitzuwirken habe und ihr Erlaß ausschließlich der reglementarischen Fest-
sezung unterliege; er hat die Regelung im Verordnungswege geradezu gefordert.
lagen Bd. II, S. 117 ff. Die eisenbahnrecht= für ihre Verwaltung wichtigsten und geradezu
lichen Schrifsteller Gleim, Eger u. s. w. machen grundlegenden Normen zu vertheidigen.
nicht einmal den Versuch, die Gültigkeit dieser