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„Darauf kommt es an, daß überhaupt der Bundesrath (also das
Reich) das thun will, was in der Sache zu wünschen ist.“
Uebrigens war man sich bei den Bahnpolizeireglements, die „gleiche“
sein sollten, von Anfang an darüber klar, daß der Bund die Sache unmittelbar
in die Hand nehmen sollte. In Betreff der Bahn betriebsreglements ersetzte
man „Lgleiche“ durch „übereinstimmende“, weil — wie der Antragsteller Michaelis
(Sten. Ber. des verfassungsberathenden Reichstages 1867, S. 504) sagte — in
„dem Augenblicke, wo Sie dem Bunde das Recht beilegen, gleiche Betriebs-
reglements einzuführen und aufrecht zu erhalten, resp. was dasselbe ist, auf-
zuerlegen, der Verkehr der Eisenbahnen unter Gleichen aufhört.“ Für den
Erlaß der Betriebsreglements wollte man allen Regierungen zunächst die
Möglichkeit lassen, „Experimente zu machen, damit, wenn diese Reformen sich be-
währen, die Reformen dann erweitert werden“ 1.
Zur Erklärung der Fassung in den Art. 43 und 45 der Reichsverfassung ist
zu beachten, daß dieselben nicht vom Erlasse, sondern von der Einführung
der gleichen oder übereinstimmenden Reglements sprechen, daß somit nach dieser
Fassung zwar die Einzelregierungen die Reglements ein führen, aber nicht er-
lassen sollen.
Schließlich ist noch auf Art. 7, Ziff. 2 der Reichsverfassung hinzuweisen,
der dem Bundesrath, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas Anderes bestimmt ist,
das Recht giebt, die „zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen
Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen"“7 zu beschließen .
Die öffentlichen Eisenbahnen unterscheiden sich rechtlich von der Post= und
Telegraphenverwaltung dadurch, daß erstere nach ihrer Entstehung und Entwickelung
im Princip Erwerbsanstalten, letztere dagegen im Princip Verkehrs-
anstalten sind“. Der Staat hat den Post= und Telegraphenbetrieb nicht über-
nommen und führt ihn nicht in der Weise und zu dem Zwecke, um daraus einen
Erwerb zu ziehen, sondern um damit dem öffentlichen Verkehr zu dienen 5. Die
Eisenbahnen dagegen find in Deutschland zunächst von Capitalisten und zwar von
Privatunternehmern erbaut worden, um aus ihrem Betrieb einen Erwerb zu machen.
Aus mehreren Gründen wurde der Eisenbahnbetrieb unter staatliche Regelung ge-
nommen: Zunächst und selbstverständlich erscheint bei der gefährlichen Natur des
Unternehmens die sicherheitspolizeiliche Fürsorge des Staates. § 23 des
preußischen Gesetzes über die Eisenbahn = Unternehmungen vom 3. November 1838
(G.-S. 1838, S. 505) bestimmte: „Die Handhabung der Bahnpolizei wird, nach
einem darüber von dem Handelsministerium zu erlassenden Reglement, der Gesellschaft
übertragen. Das Reglement wird zugleich das Verhältniß der mit diesem Geschäft
beauftragten Beamten der Gesellschaft näher festsetzen.“ Hieraus folgt zunächst,
daß das Handelsministerium im seicherheitspolizeilichen Interesse Bestimmungen
über Beschaffenheit des Ober= und Unterbaues, Lokomotiven, Bremsen, Brücken,
Wegeübergänge, Fahrgeschwindigkeit, Signale und dergl. erlassen durfte. Es war
(und ist) unnöthig, gerichtliche Strafen zur Sicherung der Befolgung anzudrohen;
denn wirksamer als sonstige Polizeistrafen ist die Vorschrift, daß im Falle des Un-
gehorsams die der Eisenbahngesellschaft ertheilte Concession verwirkt und die Bahn
mit den Transportmitteln und allem Zubehör für Rechnung der Gesellschaft
öffentlich versteigert wird (zu vgl. § 47 des Gesetzes vom 3. November 1838).
Soweit die Reglements dem Publicum gegenüber gelten sollten, z. B. das
Betreten des Bahnkörpers, das Einsteigen in fahrende Wagen, das Mitsichführen
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1 Michaelis, I. c. S. 505. ordnung ist nunmehr im adesse vom
* Siehe Arndt, Komm. zur Reichsverf., 10. Mai 1897, §9§ 454, 472 reichsgesetzlich an-
S. 115 ff., und oben S. 200 ff. erkannt worden.
* Die Gültigkeit der vom Bundesrathe auf Dies ist auch anerkannt im Erkenntnisse
Grund der Art. 43 ff. erlassenen Verordnungen des Ober-Verwaltungsgerichts vom 16. Februar
ist auch in der Praxis nie bestritten worden; 1876, Entsch. Bd. IV, S. 14.
u. A. Entsch. des Oberhandelsgerichts, Bd. 5 Vgl. auch Entsch. des Sber-Verwaltungz=
I. S. 60, und des Reichsgerichts in Straff., gerichts, Bd. XV, S. 427, und Bd. XXV, S. 151.
Dd. X, S. 326. Die Gültigkeit der Verkehrs-