Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 35. Eisenbahnwesen. 313 
oder nur innerhalb gewisser Grenzen ausschließen durften (Art. 422 bis 431 des 
Handelsgesetzbuchs vom 5. Juni 1869 (R.-G.-Bl. 1869, S. 404). Die Reglements 
konnten den Eisenbahnen von den Pflichten, die ihnen das Handelsgesetzbuch auf- 
erlegte, nichts abnehmen, sie konnten indeß ihnen weitergehende auferlegen. Dies 
geschah indeß nur in ungenügendem Maße, auch die Reglements gingen bis nahe 
an die Grenze des den Eisenbahnen im Handelsgesetzbuche Erlaubten 1. Der dritte 
Handelstag in Frankfurt erklärte am 27. September 1866, daß die „unter Aus- 
Üübung des Expropriationsrechtes erbauten Eisenbahnen nicht ausschließlich als solche 
gewerbliche Anlagen betrachtet und gesetzlich behandelt werden können, deren will- 
kürliche Ausbeutung dem Eigenthümer zusteht“", und daß demgemäß die Gesetz- 
gebungen und die Staatsverwaltungen (d. h. also die Verordnungen, die Regle- 
ments) dafür sorgen müssen, daß die Eisenbahnen ihrem gemeinnützigen Zwecke 
gemäß auch unter dem Gesichtspunkte der Förderung der wirthschaftlichen Landes- 
interessen verwaltet und betrieben werden müssen. Unter Bezug hierauf vertheidigte 
der Abgeordnete v. Rabenau im verfassungsberathenden Reichstage am 20. März 
1867 (Sten. Ber. S. 277) die Verfassungsvorlage, da es dringend nothwendig 
sei, daß „der Centralgewalt das volle Recht in die Hand gegeben 
werde“, die von ihm näher geschilderten Mißbräuche zu beseitigen. Der Sinn 
und Zweck der Art. 42, bes. 44 ff. geht nun dahin, daß an die Stelle der Landes- 
verwaltung die Reichs-Verwaltung (d. i. der Bundesrath) treten und die Betriebs- 
reglements erlassen sollte, welche alsdann von den Eisenbahnen einzuführen find. 
Die vom Bundesrathe erlassenen Betriebsreglements haben den gleichen Rechts- 
charakter wie die der Landes-Centralbehörden. Den Eisenbahnen legten sie gewisse 
Pflichten in allen Theilen, dem Publicum nur nach einzelnen Rich- 
tungen ((keine geladenen Gewehre, keine explofiblen Stoffe bei Strafe bis zu 
100 Mark mit sich zu führen u. dgl.) auf; im Allgemeinen aber überließen sie dem 
Publicum, sich günstigere Bedingungen zu stipuliren. Dem Publicum gegenüber 
wurden die entsprechenden Vorschriften des Reglements erst gültig, wenn es sich 
ihnen unterwarf. Diese Vorschriften waren Gesetze den Eisenbahngesellschaften 
gegenüber; für das Publicum werden sie nur durch ausdrückliche Uebereinkunft, 
qua Vertrag, gültig. Nur mit dieser Einschränkung ist die Judicatur des Reichs- 
Ober-Handels= und des Reichsgerichts als richtig anzuerkennen d. Da nun das 
Publicum kaum jemals in der Lage war, sich günstigere Bedingungen auszumachen, so 
erschien es bei Neubearbeitung des Handelsrechts einfacher, die Haftung der Eisen- 
bahnen derart zu regeln, daß die betreffenden Vorschriften unmittelbar, d. h. ohne 
den Umweg einer Aufnahme in den Frachtvertrag, zur Anwendung kommen. Dies 
geschieht theils dadurch, daß das Handelsgesetzbuch vom 10. Mai 1897 selbst die 
Hastungsregeln direct ausspricht, theils dadurch, daß eine staatliche Verordnung, 
die Bundesraths-Verkehrsordnung?, mit voller Gesetzeskraft bekleidet (d. h. in allen 
Theilen auch dem Publicum gegenüber) und zum zwingenden Recht erhoben wird, 
soweit sie dem über ihr stehenden Reichsgesetze (dem Handelsgesetzbuche) nicht 
widerspricht“. Demgemäß bestimmt zunächst § 453 des Handelsgesetzbuchs vom 
10. Mai 1897, daß die dem öffentlichen, allgemeinen Verkehr dienenden Eisen- 
bahnen nur in den dort bezeichneten Fällen die Beförderung versagen dürfen; 
§ 471, daß die Vorschriften des § 432, Abs. 1 und 2, der §§ 438, 439, 458, 
455 bis 470 weder durch Verkehrsordnung, noch durch Verträge ausgeschlossen 
oder beschränkt werden können, und daß Vereinbarungen, welche mit der Verkehrs- 
ordnung im Widerspruch stehen, nichtig find. Die Vorschriften über die Beförderung 
von Personen auf den Eisenbahnen, so bestimmt § 472, werden durch die 
Eisenbahn -Verkehrsordnung getroffen. Nunmehr find — zweifellos — die Ver- 
kehrsordnungen in allen ihren Theilen und gegenüber Jedermann Rechtsnormen 
— — 
  
1 Gareis, Das deutsche Handelzrecht, S. 57, Bd. XII. S. 166. 
6. Aufl., S. 663. „ Verkehrsordnung ist identisch mit Betriebs- 
* Vg. u. A. Entsch. des Ober-Handels= reglement. 
berchts Bd. XIX, S. 184, Bd. XXV, S. 170, * Vgl. Gareis, S. 665. 
Reichsgerichts in Civils. Bd. I, S. 14, Bd. 1l.
	        
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