Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

5 38. Die Zölle. 859 
Die Bezugnahme des Art. 78 in Art. 40 der Reichsverfassung ergiebt, daß in 
den Zollvereinigungsverträgen auch Verfassungsvorschriften enthalten sind. 
Hänel ½ ist der Meinung, daß negativ alle diejenigen Bestimmungen, welche 
nur folgerichtige Entwicklungen aus den in der Reichsverfassung festgestellten 
Grundsätzen, z. B. aus dem des Indigenats oder der einzelstaatlichen Selbst- 
verwaltung im Zoll= und Steuerwesen, find, sowie „alle diejenigen Bestimmungen, 
welche, wenn fie noch zu erlassen wären, kraft einer zutreffenden verfassungsmäßigen 
Competenz des Reiches erlassen werden könnten,“ Verfassungsgesetze nicht seien, 
daß dagegen positiv nur diejenigen Bestimmungen der Zollvereinsverträge ver- 
fassungsgesetzliche seien, „welche außerhalb des Umfanges eines durch die Reichs- 
verfassung angeordneten Grundsatzes und außerhalb einer durch die Reichsverfassung 
begründeten Competenz des Reiches zur Gesetzgebung liegen“. Dieser Ansicht ist 
zu widersprechen. Ein logischer Unterschied zwischen Verfassungs= und einfachen 
Gesetzen besteht nicht. Es hängt vom Ermessen der obersten Staatsgewalt ab, ob 
sie eine Materie der Verfassung oder dem einfachen Gesetze überweisen will . Ent- 
scheidend ist daher, ob eine Materie in die Verfassungsurkunde Aufnahme gefunden 
hat oder nicht. Im vorliegenden Falle handelt es sich um die Frage, wie weit 
Vorschriften, die in den Verfassungstext nicht ausgenommen, sondern in diesem 
nur angezogen sind, dadurch den Charakter von Verfassungsvorschriften erlangt 
haben. Man könnte behaupten, daß sie in ihrer Gesammtheit durch die Vorschrift in 
Art. 40: „bleiben in Kraft“ Verfassungsbestimmungen geworden sind. Dies wider- 
spricht aber offenbar der Absicht der Verfassung; denn sonst wäre in Art. 40 nur 
Art. 78, nicht Art. 7 angezogen worden. Es widerspricht auch der Natur der 
Sache, da es nicht der Wille der Verfassung gewesen sein kann, alle, auch die un- 
wichtigen Vorschriften der Verträge als Verfassungsrecht hinzustellen. Es wider- 
spricht auch der Erklärung, welche Delbrück am 7. Dezember 1870 abgegeben 
hat?. Art. 40 hätte endlich eine andere Fassung erhalten müssen, wenn er sagen 
wollte, daß die neuen Zoll= und Handelsverträge in ihrem ganzen Inhalte Ver- 
fassungsrecht geworden sind. Art. 40 sagt eben nur, daß sie bis zur Aenderung 
in Kraft bleiben. Daß im Wege des verfassungsändernden Gesetzes (Art. 78) Alles 
geändert werden kann, ist selbstredend. Daher hätte Art. 40, wenn er den Ver- 
saffungscharakter der Verträge angenommen und festgestellt wissen wollte, den Zu- 
satz: „so lange sie nicht auf dem Art. 7 bezw. 78 bezeichneten Wege abgeändert 
werden“ fortlassen müssen. Hiernach find nur die Bestimmungen der Zoll= und 
Handelsverträge Verfassungsvorschriften, welche in der Reichsverfassung behandelte 
Vorschriften abändern oder ergänzen. 
Die Vorschriften, daß weitere, innere Abgaben auf ausländische Erzeugnisse" oder 
daß Ausfuhrprämien nach dem Inlande untersagt find, oder daß Zoll= und Steuer- 
strafen den Einzelstaaten zustehen ", die Vorschriften über Chausseegelder 7, die Vorschrift, 
daß das Recht zum Erlasse oder zur Milderung von Strafen wegen Zoll= und Steuer- 
vergehen den Einzelstaaten zusteht, sind verfassungsmäßige; denn in allen diesen Vor- 
schriften find Ergänzungen des Art. 35 zu finden 3. Zu dem gleichen Ergebnisse gelangt 
man noch aus einer anderen Erwägung: Die Reichsverfassung betrifft die Abgrenzung 
der Zuständigkeit der Einzelstaaten vom Reiche, sie hat zum Inhalte die Befugnisse, 
welche die Einzelstaaten der Gesammtheit übertragen. Die Rechtsvermuthung 
spricht für die Zuständigkeit der Einzelstaaten und gegen die Zuständigkeit des 
Reiches. Ohne verfassungsänderndes Gesetz kann keine Zuständigkeit eines Einzel- 
staates dem Reiche übertragen werden. Daraus folgt, daß, um den Einzel- 
staaten das ihnen in der Reichsverfassung bisher belassene Recht auf die Er- 
dräge der Zoll= und Steuerstrafen oder das Recht auf Begnadigung oder 
auf Erlaß solcher Strafen fortzunehmen, um in weiterem Umfange, als es 
  
1 Reichsstaatsrecht, S. 55 f. 65 Art. 5, Nr. II, § 4 daselbst. 
1 Siehe oben S. 186. 6 Art. 18 das. - 
1 Siehe oben S. 356. 1 Art. 29 das. 
1662 Artt. 5, Ziff. 1 des Vertrages vom 8. Juli 8 Art. 18 das.
	        
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