410 Siebentes Buch. Finanzwesen.
erscheint !. Es ist insbesondere ganz unzutreffend, daß Art. 78 der Reichsverfassung,
wonach Anleihen für das Reich (nur) im Wege der Reichsgesetzgebung erfolgen
dürfen, im Wesentlichen die Finanzschulden treffen will. Man hat im Gegentheile
bei den Reichsanleihen hauptsächlich an sogenannte Verwaltungsschulden, an An-
leihen für Marine, Festungen, Heer und Kriegsführung gedacht. Art. 73 verbietet
nicht, Schulden zu machen, sondern nur Anleihen ohne Gesetz aufzunehmen. Die
Reichsregierung kann ohne Gesetz für die Zwecke der Reichseisenbahnen wie für die
Post und Telegraphen wie endlich für die Zwecke der Marine Schulden rechtsgültig
contrahiren: durch Bestellung von Lokomotiven und Eisenbahnwagen, durch Anschaffung
von Postgrundstücken und Postwagen, durch Bestellung von Kriegsschiffen u. dergl.
Allerdings muß sie sich im Rahmen des Etatsgesetzes halten; indeß an sich kann fie alle
diese Schulden ohne Gesetz, in welcher Höhe auch immer, gültig contrahiren. Geld
leihen für Rechnung des Reiches kann sie ohne Gesetz auch nicht im minimalsten
Betrage. Das Reich hat grundsätzlich für gewährte Kriegsleistungen Entschädigung
w gewähren (Gesetz über die Kriegsleistungen vom 13. Juni 1873, R.-G.-Bl. 1873,
S. 129). Schulden für Kriegsleistungen? find keine Anleihen, folglich ist ein
Specialgeset für die Contrahirung bezw. Anerkennung von Kriegsleistungen nicht
nothwendig. Unerheblich ist, daß diese Schulden für Kriegsleistungen verzinslich
find; denn auch Schulden z. B. für Lieferungsgeschäfte find nach Eintritt der
Fälligkeit verzinslich, und doch kann das Reich (im Rahmen des Etats und stets
mit Gültigkeit nach außen) Lieferungsgeschäfte ohne Gesetz abschließen. Wenn die
flüssigen Mittel nicht ausreichen, um die Kriegsleistungen oder andere Pflichten des
Reiches zu decken, und man Geld leihen müßte, um die dafür nothwendigen Aus-
gaben zu leisten, dann erst läge ein Anleihegeschäft vor, und für dieses bedürfte man
der Zustimmung des Reichstages, eines Gesetzes.
In den Einnahmeetat des Reiches kommen (vgl. z. B. Gesetz, betreffend
die Feststellung des Reichshaushaltsetats für das Rechnungsjahr 1898, vom 31. März
1898, R.-G.-Bl. 1898, S. 107): I. Reichszölle und Verbrauchssteuern, und zwar
a) an welchen alle Bundesstaaten Theil haben: 1. Zölle, 2. Tabacksteuer, 3. Zucker-
steuer, 4. Salzsteuer, 5. Branntweinsteuer; b) solche, an denen Bayern, Württem-
berg, Baden und Elsaß-Lothringen keinen Antheil haben: 6. Brausteuer und
Uebergangsabgabe von Bier, 7. Aversa, an denen alle Bundesstaaten Theil haben,
und 8. Aversa, an denen Bayern, Württemberg und Elsaß-Lothringen keinen An-
theil haben; II. Reichsstempelabgaben: 1. Spielkartenstempelsteuer, 2. Wechsel-
stempelsteuer, 3. sog. Börsensteuer, 4. Lotterieloossteuer; III. Post= und Telegraphen-
wesen, IV. Reichsdruckerei, V. Eisenbahnverwaltung, VI. Bankwesen (1. Antheil am
Reingewinn, 2. Steuer von ungedeckten Banknoten), VII. verschiedene Verwaltungs-
einnahmen, VIII. aus dem Reichs-Invalidenfonds, IX. aus der Veräußerung von
ehemaligen Festungswerken, X. Ueberschüsse aus früheren Jahren, XI. Matrikular-
beiträge (467 196 684 Mark), XII. außordentliche Deckungsmittel.
Der Einnahmeetat im Reiche ist ein Nettoetat. Nur Das, was der Reichs-
kasse nach Abzug der Unkosten für die einzelnen Einnahmegquellen zufließt, ist ein-
zustellen; insbesondere die Verbrauchs= und Stempelsteuern nach Abzug der vom
Reiche zu tragenden Verwaltungskosten, der auf gesetzlicher Vorschrift beruhenden
und vom Reiche zu tragenden Rückzahlungen und Ermäßigungen . Jedoch werden
die Bruttoeinnahme und die Ausgabe an die Verwaltungskosten u. s. w. im
Etat mit angegeben.
Unter den Einnahmen fungiren auch diejenigen Zölle und Steuern, welche
ganz oder theilweise den Bundesstaaten zu überweisen sind“. Die Ueberweisungen
erscheinen unter den Ausgaben.
Die Einnahmen des Reiches müssen stets den Ausgaben entsprechen. Die
Differenz zwischen den Einnahmen und Ausgaben muß durch Matrikularbeiträge
1 Art. 78 der Reichsverfassung und weiter eklärter Mobilmachung.
unten. 2* Art. 38 der Reichsverfassung und oben
⅜c 4 für eingestellte Pferde und Wagen, . 400 f.
Beschä igung von Grundstücken u. dergl. nach Siehe oben S. 402.