Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

* 43. Der Zuhalt des Etatsgesetzes u. s. w. 415 
Das Reichshaushalts-Etatsgesetz zerfällt in das Etatsgesetz und den als An- 
lage dazu dienenden Etat. Es ist nicht ein Gesetz wie jedes andere, das nach 
Willkür abgelehnt oder beschlossen werden kann, sondern ein Gesetz, das nothwendig 
ist, das in der Reichsverfassung vorgeschrieben ist, einmal insoweit, als das Gesetz 
als solches ergehen muß, und sodann insoweit, als ein großer Theil seines Inhalts 
der Willkür der gesetzgebenden Körperschaften durch die Vorschristen in den Art. 70 
und 71 der Reichsverfassung entzogen ist. Rechtsnorm ist es in Dem, worin es 
dies sein will, in der Feststellung der Einnahmen und Ausgaben und in der Er- 
mächtigung, die Ausgaben zu leisten . Da es ein Gesetz ist, kommen die auf die 
Gesetzgebung bezüglichen Verfassungsvorschriften auch auf das Etatsgesetz zur An- 
wendung. 
Da nach Art. 5, Abs. 2 der Reichsverfassung bei Gesetzesvorschlägen über das 
Militärwesen, die Kriegsmarine und die in Art. 35 bezeichneten Abgaben die 
Stimme des Präfidiums den Ausschlag giebt, wenn fie sich für die Aufrechterhaltung 
der bestehenden Einrichtungen ausspricht, so braucht der Kaiser ein Etatsgesetz sich 
nicht gefallen zu lassen und nicht zu publiciren, in welchem gegen seine Stimme 
Aenderungen an solchen Einrichtungen getroffen sind". Auch wohlerworbene Sonder- 
rechte im Sinne des Art. 78, Abs. 2 der Reichsverfassung können ohne Zu- 
stimmung des berechtigten Staates durch das Etatsgesetz nicht aufgehoben oder be- 
einträchtigt werden. 
Das Etatsgesetz als Ganzes ist im Sinne des Art. 7, Abs. 4 der Reichs- 
verfassung keine Angelegenheit, die nach den Bestimmungen dieser Verfassung nicht 
dem ganzen Reiche gemeinschaftlich ist. Obwohl z. B. Bayern sein Militärbudget 
in einer Summe ausgesetzt erhält, so hat es auch an dem Reichsmilitäretat ein 
gesetzliches und ein thatsächliches Interesse, weil sich aus der Höhe des Reichs- 
militäretats sein eigener Militäretat ergiebt und Bayern auch zu dem gesammten 
Militäretat beiträgt 32. Ebenso haben alle Bundesstaaten an den Aversen ein finanzielles 
Interesse, da sie daran participiren. Ueber die Etatspofitionen „Brausteuer“ haben 
dagegen die Vertreter der süddeutschen Staaten im Bundesrathe nicht mitzustimmen, 
wohl aber über den ganzen Etat, in dem diese Position mitenthalten ist. Auch 
dürfen Bayern und Württemberg nicht über den Etat der Post= und Telegraphen- 
verwaltung, Bayern nicht über den Etat des Bundesamts für das Heimathwesen 
mit abstimmen“. 
Wenn die Einnahmen des Reiches meist auf länger als auf ein Jahr bewilligt 
find, so ist dies regelmäßig bei den Ausgaben nicht der Fall. Diese werden viel- 
mehr regelmäßig nur auf ein Jahr bewilligt. Ausnahmen kommen auf Grund 
Art. 62 der Reichsverfassung vor in der Militärverwaltung 5. Sodann schreibt 
Art. 71 der Reichsverfassung ausdrücklich vor, daß die gemeinschaftlichen Ausgaben 
zwar in der Regel für ein Jahr, in besonderen Fällen jedoch auch für eine längere 
Dauer bewilligt werden können. Hierbei dachte man z. B. an Ausgaben für die 
Erneuerung von Kriegsschiffen. Bei Ausnahmen solcher Art, gleichviel, ob diese auf 
Art. 62 oder 71 beruhen, müssen gleichwohl die Ausgaben in den Etat eingestellt 
werden, weil nach Art. 69 alle Ausgaben in dem Etat veranschlagt und festgesetzt 
werden sollen #E. Die Ausnahmen bedeuten, daß Bundesrath wie Reichstag in ihrer 
gegenwärtigen wie ihrer zukünftigen Zusammensetzung „gebunden“ sind, die für 
mehr als ein Jahr bewilligten Ausgaben in den Etat einzustellen ?7. 
  
1 Siehe oben § 36, unten S. 431. handelt werden muß (warum 7). Ihm stimmen 
2 Ebenso auch Laband, Reichsstaatsrecht, 
II. S. 940, trotzdem seiner Ansicht nach das 
Etatsgesetz kein Gesetz, sondern eine Verwaltungs- 
maßregel ist. 
* Vgl. oben S. 412, ferner Delbrück in 
der II. außerordentl. Session des Reichstages 
1870, S. 123. 
* Nach der Ansicht von G. Meyer, Staats- 
recht, § 209, Anm. 4, bezieht sich die Vorschrift 
des Art. 7, Abs. 4 auf diese Fälle nicht, da der 
gesammte Etat als ein einheitliches Ganzes be- 
  
zu: Laband, II, S. 940, v. Rönne, Staats- 
eckt des Deutschen Reiches, Bd. II, Abth. 1, 
588, S. 145. 
6 Siehe weiter unten. 
Vgl. auch Abs. 3 und 4 in Art. 62 der 
Reichsverfassung. 
* Vgl. die Reichstagsverhandlungen zum 
Flottengesetz vom Jahre 1898 im Aufsatze von 
Arndt in der Deutschen Juristenzeitung 1898, 
S. 70, ferner Seydel, Comm., S. 397, La- 
band, II, S. 941f.
	        
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