426 .Siebentes Buch. Finanzwesen.
haben auch die Ordre gegenzuzeichnen, durch welche bestimmt wird, daß davon ab-
gesehen werde, einen festgestellten Kassen= oder Rechnungsdefect von einem Reichs-
beamten einzuziehen.
Handelt es sich um eine Landesverwaltung, z. B. um die Verwaltung der
Reichszölle, Reichssteuern und Reichsstempel oder um die Verwaltung des stehenden
Heeres, so find die justificirenden Cabinetsordres, soweit solche zulässig find, vom
Landesherrn unter Gegenzeichnung des nach Landesrecht zuständigen Ministers zu
erlassen. Auf Steuern, Stempel, Zölle u. f. w., die in die Reichskasse fließen,
dürfen die Einzelstaaten nicht eigenmächtig verzichten; folglich wäre eine Cabinets-
ordre, die vorschriebe, daß Jemand von der Zahlung eines Reichs-Zolles, eines
Stempels oder einer -Verbrauchssteuer befreit sein sollte, überhaupt unzulässig.
Erginge fie trotzdem, so könnte fie dem Reiche gegenüber keineswegs geltend gemacht
werden, da die Bundesstaaten dem Reiche für den vollständigen Eingang der von
ihnen verwalteten Reichszölle, Reichssteuern und Reichsstempel haften. Aber selbst
dem internen Staatsrecht gegenüber muß ihre Unzulässigkeit von der Ober-
Rechnungskammer monirt werden, und diese wäre z. B. in Preußen unbedingt
verpflichtet, dieses Monitum gemäß § 18 des Gesetzes vom 27. März 1872 dem
Landtage mitzutheilen. Erlaubt das Reich ausnahmsweise einem Bundesstaat, auf
Reichszölle, Reichssteuern und Reichsstempel zu verzichten, so genügt die Verfügung
der an sich zuständigen Landesbehörde. Es ist in solchem Falle kein injustum ge-
schehen; es bedarf daher keiner justificirenden Cabinetsordre. Handelt es sich um
ein Reichsgesetz, das zwar Abgaben anordnet, aber solche, die nicht in die Reichs-
kasse fließen, z. B. Gerichtskosten, so könnte das Reich, wenn es wollte, seinerseits
vorschreiben, wann auf diese Abgaben von Landeswegen verzichtet werden kann und
daß überhaupt nicht willkürlich von Landeswegen, sondern nur in den vom
Reichsgesetzgeber verzeichneten Fällen darauf verzichtet werden darf. Im Zweifel
haben die Bundesstaaten aber alle Befugnisse, die ihnen nicht durch die Reichs-
gesetze ausdrücklich entzogen find, bezw. die sie nicht durch Beschließung der Reichs-
gesetze dem Reiche ausdrücklich übertragen haben. Daher haben in den Fällen, wo
die Einnahmen zwar auf Reichsgesetz beruhen, aber nicht in die Reichskasse fließen,
die Einzelstaaten noch die Befugniß, soweit es ihr internes Staatsrecht zuläßt, auf
solche Einnahmen zu verzichten 1. Daher kann der König von Preußen noch auf
Einnahmen des preußischen Staates aus dem Reichs-Gerichtskostengesetz unter
Gegenzeichnung des preußischen Justizministers verzichten. Dieses Recht hat er
nicht, wenn es sich um Einnahmen handelt, die auch nur zunächst in die Reichs-
kasse fließen, wenn fie auch hinterher den Bundesstaaten zu überweisen find, wie
die Börsensteuer, Lotterieloossteuer u. a. m. Da die Einzelstaaten alle nicht an
das Reich verlorenen Befugnisse noch besitzen, so kann der König von Preußen
Geldstrafen, die auf Grund reichsgesetzlicher Vorschriften erkannt sind, im Gnaden-
wege erlassen und auf Confiscate, die dem preußischen Staate zugesprochen find,
verzichten. Dies hat die Ober-Rechnungskammer nicht zu moniren. Nothwendig
ist die Gegenzeichnung des preußischen Justizministers. Dies Alles gilt selbst in den
Fällen, daß die Strafen und Confiscate wegen Hinterziehung solcher Abgaben erkannt
find, die in die Reichskasse fließen 7.
Die Angelegenheiten des stehenden Heeres werden für Rechnung des Reiches
durch die Einzelstaaten verwaltet. Handelt es sich hier um den Erlaß einer justi-
ficirenden Cabinetsordre, soll z. B. der Anspruch auf Rückforderung zuviel geleisteter
Entschädigungen für Kriegs= oder Friedensleistungen oder der Anspruch auf eine
Conventionalstrafe wegen verspäteter Lieferung an die Armee oder verspäteter Her-
stellung einer Kaserne niedergeschlagen werden, so ist dies ein Act der Landes-
1 Kann der Kaiser dem Reiche zustehende die Praxis für die letztere Alternative aus. Der
Gerichtskosten nieherschlagen? Nein, wenn es Kaiser könnte sich das Recht, Reichsgerichtskosten
die Absicht des Gerichtskostengesetzes war, daß niederzuschlagen, gemäß § 98, Abs. 3 des Ge-
die Gerichtskosten auch erhoben werden müssen, #i böbosiengefehen, vom Bundesrath übertragen
wie Zölle, Verbrauchssteuern u. dergl.; ja, wenn lassen.
es nur deren Höhe normiren wollte. Laband, 2 Art. 18 des Bollvereinigungsvertroges vom
II, S. 983, Anm. 1, spricht sich für die erstere. S. Juli 1867 und oben S. 865.