§8 45. Rechtscharakter des Reichsheeres und der Kriegsmarine. 451
einzelnen Bundesstaaten nicht auf, sondern sie bedeute lediglich das Band, welches
diese verschiedenen Contingente zusammenhalte. Die Einheit sei bei der Marine Princip,
bei dem Heere Modification des Grundprincips. Die reichsverfassungsmäßigen
Grundlagen der Militärreorganisation lassen sich in dem Satze zusammenfassen:
„Dem Reiche steht zu die einheitliche Ordnung und Einrichtung
des Heeres, der Oberbefehl in Krieg und Frieden, die Feststellung
des Rekrutenbedarfs und des Ausgabenetats; den Einzelstaaten
ist verblieben die Contingentsherrlichkeit und die Selbstver-
waltung.“
Bei sorgfältiger Prüfung muß zugegeben werden, daß aus Artikel 63 die
Einheitlichkeit des stehenden Heeres nicht gefolgert werden kann. Allerdings
gebraucht dieser Artikel die Bezeichnung „einheitliches Heer“; es ist jedoch zuzugeben,
daß daraus nichts abgeleitet werden kann, da in dem nämlichen Artikel auch von
einem „preußischen Heere“ und von „eigenen Truppen" der Bundesfürsten
gesprochen wird 1. Ebenso ist nichts daraus zu folgern, daß in Art. 64 von den
„Befehlen“ des Kaisers gesprochen wird, während in den preußischen Grund-
zügen vom 14. Juni 1866 nur von einem „Oberbefehle“ und einem „Ober-
seldherrn“ gesprochen wird #. Denn die Bezeichnungen „Befehl“ und „Ober-
befehl“ werden von der Reichsverfassung — wie Art. 53 ergiebt, der von dem
Oberbefehle über die Marine spricht — und von den Militärconventionen, z. B.
der hessischen und württembergischen — wo von dem Oberbefehle und dem Ober-
befehlshaber gesprochen wird —, als gleichbedeutend gebraucht S:. Dies find sie
zwar nicht, weil der Oberbefehl auch ein nur mittelbares Befehlsrecht ausdrücken
könnte und z. B. im Rechte des ehemaligen Deutschen Bundes ausgedrückt hat;
indeß muß zugegeben werden, daß die Reichsverfassung keinen erkennbaren Unter-
schied in die Worte Befehl und Oberbefehl legt. Es ist auch zuzugeben, daß der
Fahneneid nicht dem Kaiser, sondern dem Landesherrn geleistet wird (Artikel 64,
Satz 1). Sodann ist unbestreitbar, wie dies auch eine Denkschrift des Reichs-
kanzlers" ausführt, daß die Reichsverfassung den Einzelstaaten die Verwaltung der
Militärangelegenheiten belassen hat, daß insbesondere die Könige von Preußen,
Sachsen und Württemberg ihre Contingente — die letzteren Beiden mit gewissen Be-
schränkungen — selbstständig verwalten 5. Daher ist es nur richtig, daß justificirende
Cabinetsordres in Sachen der Heeresverwaltung nicht vom Reichskanzler, sondern von den
Landeskriegsministern gegenzuzeichnen find . Auch das ist zuzugeben, daß die Ver-
und Anordnungen, von denen Art. 63, Abs. 5 spricht, keine Reichs-, sondern Landes-
verordnungen find, daß diese für das Landheer nicht der Kaiser, sondern der König
von Preußen unter eventueller Gegenzeichnung des preußischen Kriegsministers
erläßt 7, und daß diese demnächst in das sächsische Contingent als, formell betrachtet,
sächsische und in das württembergische Contingent als, formell betrachtet, württem-
bergische Verordnungen eingeführt werden.
Es soll ferner zugestanden werden, daß aus der Gleichmäßigkeit der Ausbildung,
Ausrüstung, Verpflegung u. s. w. die Einheitlichkeit des Heeres nicht unbedingt
solgt; denn es war auch zur Zeit des ehemaligen Deutschen Bundes vorgekommen
und jedenfalls denkbar, daß sich mehrere Staaten über eine einheitliche Aus-
bildung u. s. w. ihrer Truppen verständigten, und doch hatten sie damals selbst-
ständige und eigene Heere, kein einheitliches, gemeinsames Heer. Endlich ist auch
der Umstand nicht entscheidend, daß das Reich die Kosten des Heeres trägt; denn
schon der Deutsche Bund trug im Mobilmachungsfalle einen Theil der Kosten. Es
ist denkbar, daß das Deutsche Reich die Kosten des Heerwesens trüge, und daß doch
1 Siehe Ir#o haus, 1. c. S. 10, Seydel,
10. Dezember 1887, Entsch. in Civils., Bd. XX,
Comm., S. 311 f. S. 148.
2 Hierauf legt Hänel, Deutsches Staats-
recht, 1, S. 487, besonderen Werth.
* Siehe Laband, II. S. 535.
* Abgedruckt im Archiv für öffentl. Recht,
BDd. IV, S. 150 ff.
6 Siehe auch Entsch. des Reichsgerichts vom
6 Siehe oben S. 427 und den Bericht der
Rechnungskommission des Reichstages vom 17.
Januar 1890, Drucks. 1889/90, Nr. 126; fiehe
auch Drucks. 1895 98, Nr. 382.
Siehe Arndt, Verordnungsrecht, S. 130 ff.,
Arndt, Komm., S. 256.
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