452 Achtes Buch. Reichskriegswesen.
z. B. der König von Sachsen selbstständige Verfügung über seine Truppen hätte,
daß also das deutsche Heer kein einheitliches wäre.
Trotz alledem muß der Satz: das deutsche Heer ist ein einheitliches
Heer, aufrechterhalten werden. Den Gegensatz zum Begriffe der Einheitlichkeit
bildet nicht, daß das Heer eingetheilt ist in Armeecorps oder in Contingente,
wenn nur diese letzteren keine Selbstständigkeit haben. Ein Gegenfatz liegt auch
nicht darin, daß der Fahneneid nicht dem Kaiser, sondern dem Landesherrn abgelegt
wird, vorausgesetzt, daß der dem Landesherrn abgeleistete Fahneneid die unbedingte
Verpflichtung in sich schließt, dem Kaiser unbedingt, selbst gegen den Landes-
herrn, zu gehorchen. Auch die Ernennung der Officiere durch den Landesherrn
steht der Einheitlichkeit des Heeres nicht entgegen, wenn die von dem Landesherrn
ernannten unbedingt Einem, dem Kaiser, zu gehorchen haben. Die Verwaltung
der Truppenkörper durch Landesbehörden schließt die Einheitlichkeit nicht aus, wenn
diese Behörden nicht nur für Rechnung, sondern auch Namens des Reiches und als
Organe des Reiches diese Verwaltung führen. Die besonderen Uniformen, Ab-
zeichen und Aehnliches hindern die Einheitlichkeit gleichfalls nicht, wenn alle wie
auch immer uniformirten Truppenkörper und jeder einzelne Mann unbedingt
einem Befehle zu gehorchen haben.
Die Einheitlichkeit des deutschen Heeres ist durch den ersten Absatz in Art. 64
der Reichsverfassung gewährleistet: „Alle Deutsche Truppen sind ver-
pflichtet, den Befehlen des Kaisers unbedingte Folge zu leisten.
Diese Verpflichtung ist in den Fahneneid aufzunehmen.“ Alle
Militärconventionen enthalten die gleiche Verpflichtung: die Militair-Konvention
zwischen dem Norddeutschen Bunde und Württemberg vom 21./25. November 1870
(B.-G.-Bl. 1870, S. 658), Art. 4, die zwischen Preußen und dem König von
Sachsen, vom 7. Februar 1867, Art. 6, u. s. w.
Was bedeutet die Einheitlichkeit des Heeres? Die Einheitlichkeit des Zoll-
und Handelswesens bedeutet, daß für den Verkehr im Inlande und für den Ver-
kehr mit dem Auslande das Deutsche Reich ein einheitliches Zoll- und Handels-
gebiet ist. Die Einheitlichkeit des deutschen Heeres bedeutet, daß es dem Inlande
wie dem Auslande gegenüber nur ein einem WMillen gehorchendes Heer giebt.
Auch die Zölle werden von preußischen, bayerischen, sächsischen Behörden erhoben
und zunächst an die Landeskassen abgeführt. Die Zollämter haben verschiedenen
Anstrich, die Zollbeamten verschiedene Uniformen. Die Zollbeamten schwören nur
ihrem Landesherrn. Trotzdem ist das Deutsche Reich eine Zoll= und Handelseinheit,
weil, worauf es beim Zoll= und Handelsverkehr ankommt, es nirgends und niemals
einen Unterschied macht, ob eine Waare aus Preußen oder Bayern stammt, und ob
eine ausländische Waare über ein preußisches oder ein bayerisches Zollamt eingeführt
wird. Beim Heere kommt es darauf an, ob es unbedingt einem Befehle gehorcht,
darauf, daß es unbedingt nur einem Willen folgt. Alles Andere ist äußere Rück-
sichtnahme, Höflichkeit und Connivenz, ähnlich wie das Bild der Landesherren auf
den Münzen oder die Titulaturen der vormals Reichsunmittelbaren. Ein bloßer
Feldherr hat kein eigenes Recht, die Truppen zu commandiren, der Kaiser aber
hat das verfassungsmäßige Recht, über alle deutschen Truppen für und gegen Jeder-
mann, auch gegen deren eigenen Landesherrn auf Leben und Tod nach eigenem Ermessen
zu commandiren. Folglich steht der Kaiser nicht bloß bei der Marine, sondern auch
beim Landheere an Stelle des Kriegsherrn und als Vertreter der Verbündeten in
Bezug auf das Militärhoheitsrecht. Er ist und heißt daher „oberster Kriegsherr".
Der Kaiser kann z. B. befehlen, daß die sächsischen Truppen die Elbbrücke bei Dresden
oder die Festung Königstein in die Luft sprengen. Das hätte dann sofort und unbedingt
zu geschehen; der König von Sachsen darf keine Contreordre geben. Gäbe er fie, so
müßte sie unbeachtet bleiben. Das Heer des Deutschen Bundes war kein einheitliches
Heer, auch wenn es gleichmäßig ausgerüstet und ausgebildet und aus der Bundes-
kasse unterhalten worden wäre, weil der Bund zwar Hessen ersuchen und befehlen
konnte, Mainz in Kriegszustand zu versetzen, nicht aber unmittelbar den hessischen
Truppen. Das Heer des Deutschen] Bundes war kein einheitliches Heer, weil die
Truppen, je nach Wahl ihrer Landesherren, für oder gegen den Bund aufmarschiren