§ 45. Rechtscharakter des Reichsheeres und der Kriegsmarine. 453
mußten. Die holsteinischen Truppen hatten dem Könige von Dänemark als ihrem
Landesherrn, die preußischen dem Könige von Preußen zu gehorchen, auch in den
Fällen, wo der Bund den Ersteren mit Execution, den Letzteren mit Krieg überzog.
Alle deutschen Truppen aber gehorchen unbedingt dem Befehle des Kaisers in
Krieg und Frieden. Nicht nur politisch, sondern juristisch bedeutet die Reichs-
verfassung, daß das deutsche Heer ein einheitliches Heer, daß es einem Willen
gehorcht, daß nie wieder deutsche Truppen gegen deutsche Truppen fechten, sondern
alle für einander und neben einander kämpfen, und zwar nicht wie es ihre Landes-
herren befehlen, sondern wie es der Kaifser befiehlt. Und diese Pflicht
ist keine bloß ihren Landesherren obliegende, sondern eine ihnen selbst auferlegte un-
mittelbare, eine im Fahneneide von ihnen beschworene.
Wird nun hinzugenommen, daß die Gesetzgebung, die Verordnung, die Ver-
waltung, Versorgung, Bewaffnung und Ausrüstung einheitlich sind (wenigstens in
der Sache), daß Einer den Präsenzstand des Heeres und der Contingente be-
stimmt, daß Einer die Inspection und die Abstellung der Mängel hat, daß
Einem die kriegsbereite Aufstellung eines jeden Theiles des Reichsheeres, die Ein-
berufungen der Reserve und Landwehr, der Aufruf und die Auflösung des Land-
sturmes und die Feststellung des Mobilmachungsplanes zustehen, daß Einem un-
bedingter Gehorsam von allen Truppen eidlich angelobt und geleistet wird, daß
alle Einnahmen und Ausgaben der Militärverwaltung Einnahmen und Ausgaben
des Reiches find, ebenso wie das gesammte bewegliche und unbewegliche Vermögen
der Militärverwaltung Eigenthum des Reiches ist, wie es endlich (von Bayern
abgesehen) nur einen Militärfiskus, nämlich den Reichsfiskus, giebt, und daß das
Heer durch ein einheitliches Recht geordnet ist, so kann nur Schulweisheit bestreiten,
daß die Einheitlichkeit des Heeres Wahrheit und Wirklichkeit ist trotz des Fahnen-
eides, der dem Landesherrn geschworen wird, und trotz der Landesfarben.
Es ist richtig, daß der letzte Grund, aus dem einst der Kaiser das Recht er-
halten hat, über sächsische und württembergische Truppen zu commandiren, in der
Delegation der Landeshoheitsrechte durch die Verfassung liegt. Nunmehr ist diese
Delegation unwiderruflich, und das Recht des Kaisers, über sächsische Truppen zu
commandiren, ist ebenso ein eigenes, wie das des Königs von Preußen, über die
1815 von Sachsen abgetretenen Landestheile zu herrschen, längst ein eigenes Recht
geworden ist. Die Reichsverfassung unterstellt die Bundestreue der verbündeten
Regierung, sie konnte daher nicht nur die Verwaltung den Einzelstaaten belassen,
sondern auch die Leistung des Fahneneides an die Landesherren fortgestatten. In-
dem der Soldat dem Kaiser unbedingten Gehorsam leistet, erfüllt er zugleich seinen.
Fahneneid. Der Gehorsam gegen den Kaiser entspricht der Pflicht gegen seinen
Landesherrn. Von einer Rangordnung zwischen zwei Eiden oder von dem Eintritt
eines Zwiespaltes von Pflichten kann somit keine Rede sein 1. Dem Landesherrn
ist die Militärhoheit nicht entzogen; er hat dieselbe aber nicht, um damit nach
eigenem WMillen über seine Truppen zu verfügen, sondern um diese Truppen für
den Befehl des Kaisers verfügbar zu haben. Es ist hiernach undenkbar, daß ein
Landesherr anders als der Kaiser sein Contingent beordert. Sollte es ge-
schehen, so haben die Truppen unbedingt und blind dem Kaiser
zu gehorchen, auch wenn er sie gegen ihren Landesherrn comman-
diren würde. Wer sich weigert, verfällt den Kriegsartikeln, dem Tode; er begeht
die Verbrechen des Hochverraths gegen Kaiser und Reich in idealer Concurrenz mit
dem des militärischen Ungehorsams im Kriegsfalle.
Mit Recht find die Vorschriften der Reichsverfassung als bewunderungswürdig
bezeichnet. Sie find das aber nicht, weil sie die staatliche Sonderung des Heeres
unzerstört lassen 2, sondern weil sie die staatliche Sonderung in Bezug auf
das Heer mit der Wurzel zerstört und nur gewisse, sachlich un-
bedeutende Dinge und Ehren den Einzelstaaten belassen haben.
Die Einzelstaaten können kein anderes Heer haben als das Reichsheer. Ihre
1 Seydel, Comm., S. 368. 2 So Laband, II, S. 812.