ß 46. Quellen des Militärrechts u. s. w. 459
einem besonderen Gesetze delegirt sei. Dies ist in doppelter Hinsicht verfehlt:
1) Weil nicht sogenannte allgemeine Principien, sondern die thatsäch-
lichen Verhältnisse über die Abgrenzung zwischen Gesetz und Verordnung
nach dem Willen und dem Wortlaut der Reichsverfassung maßgebend sein sollen!;
dies wandten gerade die Gegner des Art. 61 ein, daß in Preußen militärische Vor-
schriften thatsächlich mit Wirksamkeit bestanden, welche Rechtsnormen ausstellten,
ohne gesetzliche Form zu haben?; 2) weil nach preußischem Staatsrecht der König
im Heerwesen Alles rechtsverbindlich geregelt hat und regeln durfte, was nicht durch
Verfassung oder Gesetz seinem Verordnungsrecht ausdrücklich entzogen war. In
Preußen waren u. A. die Ehrengerichte, das Militärpensionswesen, die Disciplinar=
strafbestimmungen, die gesammte Organisation (Dauer der Dienstpflicht in Linie,
Reserve und Landwehr), ja selbst die Kriegsartikel vor wie nach Erlaß der
Preußischen Verfassung vom Könige allein (ohne Gesetz) geregelt. Daß Vorschriften
über die Wirkung ehrengerichtlicher Urtheile, über die Dauer der Dienstpflicht, über
Leben und Tod Rechtsnormen im eminentesten Sinne darstellen, kann wahrlich nicht
bestritten werden.
Eine zweite Frage knüpft sich an Art. 61: wer hatte die ungesäumte Ein-
führung der preußischen Militärgesetzgebung zu bewirken, der König von Preußen
bezw. der Bundesfeldherr oder der einzelne Bundesstaat? Laband, Reichsstaats-
recht, II, S. 498, und Hänel, Studien, II, S. 70, behaupten, ausschließlich die
Landesregierungen, Seydel, in Hirth's Annalen 1875, S. 1418“, ausschließlich
der König von Preußen, Arndt, Verordnungsrecht, S. 126 ff., jeder von diesen.
Letztere Ansicht deckt sich mit der Praxis und mit dem Sinn und Wortlaut der
Verfassung. Es war deren Schöpfern ganz gleichgültig, von wem die preußische
Militärgesetzgebung eingeführt wurde, wenn sie nur überhaupt und ungesäumt in
Kraft gesetzt wurde 5. Es konnte und mußte auch Preußen genügen, wenn seine
Vorschriften von einer anderen Regierung eingeführt wurden, da diese auf Verlangen
Preußens (Art. 63, Abs. 5) doch alsbald diese Vorschriften so umgestalten mußte,
wie es der König von Preußen forderte.
Auf Grund des Art. 61 der Verfassung sind zu Zeiten des Norddeutschen
Bundes erlassen worden: 1) (Präfidial-) Verordnung, betreffend die Einführung
Preußischer Militairgesetze im ganzen Bundesgebiete, vom 7. November 1867 (B.=
G.-Bl. 1867, S. 125), deren § 1 neun preußische Militärgesetze und Verordnungen
im ganzen Bundesgebiete, soweit sie in demselben noch nicht in Geltung waren,
einführt: 1) das Allgemeine Regulativ über das Servis= und Einquartierungs-
wesen vom 17. März 1810 (Novum Corpus Const. Marchicarum, S. 949), nebst
den unter a bis d aufgeführten, dazu ergangenen Ergänzungen, Abänderungen und
Erläuterungen; 2) das Edikt wegen Aufhebung des Vorspanns vom 28. Oktober
1810 (Preuß. G.-S. 1810, S. 77), nebst den dort unter a bis d aufgeführten,
dazu ergangenen Ergänzungen und Erläuterungen; 3) das Edikt über die Auf-
hebung der Natural-, Fourage= und Brod-Lieferung vom 30. Oktober 1810 (Preuß.
G.-S. 1810, S. 78), nebst den in der Beilage B mit abgedruckten §§ 23, 24, 25,
30, 32, 33, 77, 80, 81, 82 und 164 des Reglements über die Naturalverpflegung
der Truppen im Frieden vom 13. Mai 1858; 4) das Regulativ über das Ver-
fahren bei baulichen Anlagen oder sonstigen Veränderungen der Erdoberfläche
innerhalb der nächsten Umgebungen der Festungen vom 10. September 1828
(Preuß. G.-S. 1828, S. 120); 5) das Gesetz, betreffend die Unterstützung der be-
dürstigen Familien zum Dienste einberufener Reserve= und Landwehrmannschaften,
vom 27. Februar 1850 (Preuß. G.-S. 1850, S. 70); 6) das Gesetz wegen der Kriegs-
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1 Dies folgt auch aus der mitgetheilten Er- 4 Siehe auch Seydel, Comm., S. 328.
klärung des Grafen Roon; s. ferner Arndt, 5 Rede des Grafen Roon im verfassungs-
Verordnungsrecht, S. 135, Komm., S. 232, berathenden Reichstage am 5. April 1867 in den
Hänel, Reichsstaatsrecht, I, S. 495. Sten. Ber. S. 381, ferner Rede des Bundesraths-
* Wigand, in den Sten. Ber. des ver- kommissars v. Puttkamer in den Sten. Ber.
sassangsberathenden Reichstages 1867, S. 582. des norddeutschen Reichstages 1869, S. 1131.
2 S. Arndt, Verordnungsr., S. 71f., 136 f.