Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

g 46. Quellen des Militärrechts u. s. w. 461 
(R.-G.-Bl. 1886, S. 65). Dagegen war in Preußen das Disciplinarwesen 
für die Armee dem Verordnungs= und nicht dem Gesetzgebungswege unterworfen 
gewesen, was daraus erhellt, daß alle Ergänzungen und Abänderungen der König- 
lichen Verordnung vom 21. Oktober 1841 über die Disziplinar-Bestrafung in der 
Armee (Preuß. G.-S. 1841, S. 325) nicht mit Zustimmung der Landesvertretung, 
sondern durch weitere Königliche Verordnungen geregelt, z. B. durch die Cabinets- 
ordre vom 28. Dezember 1850 (Militärwochenblatt 1851, S. 21) und den Aller- 
höchsten Erlaß vom 29. Mai 1852 (G.-S. 1852, S. 441). Daher erging die 
inhaltlich im ganzen Reiche gültige, in Württemberg gemäß württembergischer 
Verordnung vom 27. Dezember 1872 eingeführte Disciplinarverordnung für das 
Heer vom 31. Oktober 1872 (Armee-Verordnungsblatt S. 330) allein vom 
Könige von Preußen. Sachsen und Württemberg hatten sie (d. h. eine gleiche 
Disciplinarordnung) gemäß Art. 63, Abs. 5 der Reichsverfassung bei sich ein- 
zuführen. Ebenso gehört die Regelung des ehrengerichtlichen Verfahrens 
für Militärpersonen in Preußen zum Verordnungsgebiete, was darin zu Tage 
tritt, daß sie, auch nachdem Preußen eine Verfassung erhielt, stets ohne Zustimmung 
des Landtages ergänzt und abgeändert wurde, z. B. durch die Cabinetsordres vom 
22. Juli 1852, 26. Februar 1857, 15. und 29. Juli 1858, 17. März 1859., 
10. Mai 1860 1. Daher konnte der König für die Officiere des preußischen 
Heeres am 2. Mai 1874 eine neue Ehrengerichtsordnung erlassen, welche 
auf Grund Art. 63, Abs. 5 in das übrige Reichsgebiet eingeführt wurde. Aehnliche 
Fälle betreffen die vom Könige erlassene Verordnung vom 31. Oktober 1872 
(Armee-Verordnungsblatt 1872, S. 330), welche die Kriegsartikel änderte 
und gemäß Art. 63, Abs. 5 in das übrige Bundesgebiet eingeführt wurde; daher 
rechtfertigt sich auch die Königliche Heerordnung vom 28. September 1875 
(Militärgesetze des Deutschen Reiches 1877, II, S. 246 ff.), welche an Stelle 
preußischer Verordnungen vom 5. September 1867, 4. Juli 1868 und anderer 
getreten ist. In Preußen ist der Verordnungsweg überall da zulässig, wo die 
Verfassung kein Gesetz erfordert. Wenn man diesen Satz noch so sehr als der Ver- 
sassung widersprechend bezeichnen mag, so muß doch unbedingt zugegeben werden, 
daß er der thatsächlichen Uebung wenigstens auf dem Gebiete des Heerwesens in 
Preußen entsprach. Hierauf aber kommt es allein an, da Art. 61 die bisher that- 
sächlich bestehende Grenzscheide zwischen Gesetz und Verordnung aufrechterhalten 
hat. Nach der in Preußen geltenden Praxis konnten auch solche Königlichen Ver- 
ordnungen, die in der Gesetz Sammlung abgedruckt waren, also auch Gesetze aus 
der vorconstitutionellen Zeit, nach Erlaß der Verfassung im Verordnungswege ge- 
ändert werden. Dies geschah z. B. hinsichtlich der Kriegsartikel, der Heeres- 
reorganisation, der Disciplinarstrafordnung für das Heer und der militärischen 
Ehrengerichte, des Militärpensionswesens. Nur da trat das Gesetz (die Zustimmung 
des Landtages) ein, wo die Verfassung ein Gesetz besonders verlangte. 
Bei der Präsidialverordnung vom 22. Dezember 1868, welche die Vorrechte 
der preußischen Militärpersonen im ganzen Bundesgebiete einführte, herrschte Streit, 
ob der König von Preußen die preußischen Militärgesetze und Verordnungen im 
unveränderten Wortlaute einführen und verkünden mußte, oder ob, wie dies 
geschehen war, er bei Aufrechterhaltung ihres Inhalts sie anders formuliren durfte. 
Die letztere Ansicht entspricht dem Geiste der Verfassung, der materielle, nicht 
jormelle Uebereinstimmung der Gesetzgebung wollte?. 
Aus dem Vorgetragenen ergiebt sich auch, daß die preußischen Gesetze und 
Verordnungen durch ihre Einführung in das Reichsgebiet nicht Reichsgesetze ge- 
worden, sondern preußische Gesetze oder Verordnungen geblieben find. Dies erhellt 
auch daraus, daß die ursprünglich eingeführten Verordnungen über Disciplinar- 
verhältnisse, Ehrengerichte, Heerordnung später vom Könige von Preußen durch neue 
Verordnungen ersetzt sind. Selbstverständlich kann eine Königlich preußische Ver- 
  
Bundes, S. 167, Arndt, Komm., S. 245; siehe 
auch Erk. des Reichsger, vom 28. März 1889, 
Entsch. in Civils., Bd. XXIV, S. 1. 
1 Siehe Arndt, Verordnungzrecht, S. 137. 
2 Ebenso Seydel, Comm., S- Pl. Hierser- 
menzel, Die Verfassung des Norddeutschen 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.