472 Achtes Buch. Reichskriegswesen.
erklären kann, so ist er auch berechtigt, (von Bayern abgesehen) das ganze
Bundesgebiet in Kriegszustand zu versetzen.
Bezüglich der Verkündung des Kriegszustandes bestimmt § 3 des Gesetzes vom
4. Juni 1851, daß die Erklärung des Belagerungszustandes bei Trommelschlag
oder Trompetenschall zu verkünden und außerdem durch Mittheilung an die Ge-
meindebehörde, durch Anschlag an öffentlichen Plätzen und durch öffentliche Blätter
ohne Verzug zur allgemeinen Kenntniß zu bringen ist. Nach dem Wortlaute dieser
Bestimmung ist sonach eine vierfache Verkündigung vorgeschrieben: 1) Trommel--
schlag oder Trompetenschall, 2) Bekanntgabe an die Gemeindebehörde, 3) öffentlicher
Anschlag und 4) Abdruck in öffentlichen Blättern. Es ist ohne Weiteres ein-
leuchtend, daß der Gesetzgeber unmöglich die Gültigkeit des Belagerungszustandes
von dieser vierfachen Publication abhängig machen wollte. Denn wenn das ganze
Reich oder wenn, wie während des Krieges 1870/1871, ganze Provinzen und alle
Küstendistricte in Belagerungszustand versetzt werden, so ist es ganz unmöglich, die
Bekanntmachung in Zehntausenden von Ortschaften mit Trommelschlag oder Trom-
petenschall bekanntzumachen. Es kann daher auch nicht zugegeben werden, daß
zur Gültigkeit des Belagerungszustandes wenigstens die Verkündigung bei Trommel-
schlag oder Trompetenschall erfolgt und wenigstens mit einer der drei anderen
Bekanntmachungsformen combinirt werde!1. Die Vorschrift in § 3 des Gesetzes
vom 4. Juni 1851 ist lediglich instructionell. Es genügt jede einzelne der
im Gesetze vorgeschriebenen Verkündigungsweisen, auch jede andere, an sich geeignete,
um den Belagerungszustand eintreten zu lassen. Dies ergiebt sich nicht bloß aus
dem Sinne der Vorschrift, sondern auch aus ihrer Entstehung. Der Berichterstatter
der Ersten preußischen Kammer erklärte Namens der Kommission: „Die Kommission
einigte sich — dahin, daß es überhaupt nur darauf ankomme, daß die Ver-
kündigung des Belagerungszustandes den Betheiligten bekannt werde, und es auf
die Art und Weise der Bekanntmachung gar nicht ankommen könne, daß die-
selbe vielmehr durch Umstände bedingt werde und daher der betreffenden Behörde
überlassen bleiben müsse.“ Niemand meldete sich zum Worte, und darauf wurde
von der Kammer der § 3 angenommen?.
Erklärt der Kaiser persönlich den Kriegszustand, so bedarf die kaiserliche An-
ordnung gemäß Art. 17 der Reichsverfassung der Gegenzeichnung des Reichskanzlers,
da eine Regierungshandlung vorliegt, während die Anordnung, daß die Truppen in
einem in Belagerungszustand versetzten Theile des Bundesgebiets kriegsbereit sein
sollen, keiner Gegenzeichnung bedarf. Die Folge der Mobilerklärung der Truppen
ist u. A., daß die in der Militärgerichtsordnung für das „Feld“ gegebenen Vor-
schriften gelten (§ 5 des Einführungsgesetzes zur Militärstrafgerichtsordnung vom
1. Dezember 1898, R.-G.-Bl. 1898, S. 1289), und daß die Kriegsgesetze zur
Anwendung kommen (8§8§ 9 und 10 des Militär-Strafgesetzbuchs für das Deutsche
Reich vom 20. Juni 1872, R.-G.-Bl. 1872, S. 174).
„Mit der Bekanntmachung der Erklärung des Belagerungszustandes geht die
vollziehende Gewalt an die Militairbefehlshaber über. Die Civilverwaltungs= und
Gemeindebehörden haben den Anordnungen und Aufträgen der Militairbefehlshaber
Folge zu leisten. — Für ihre Anordnungen find die betreffenden Militairbefehlshaber
persönlich verantwortlich“ (§ 4 des Gesetzes vom 4. Juni 1851). Der Uebergang
der vollziehenden Gewalt an die Militärbefehlshaber bedeutet nicht, daß diese
fortan alle Vollziehungshandlungen selbst vornehmen müssen, sondern nur, daß
alle staatlichen und communalen Vollziehungsbeamten den Anordnungen und Er-
suchen der Militärbefehlshaber unbedingt Folge zu leisten haben. Ferner bedeutet
die Vorschrift in § 4, daß abweichend z. B. von der Bestimmung in Art. 36 der
preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850 die Militärbehörden ohne
zuvorige Requisition der Civilbehörden einschreiten dürfen. Indeß kommen das
sog. Tumultgesetz vom 17. August 1835 (Preuß. G.-S. 1835, S. 170), besonders
1 Ansicht von Laband, II, S. 520. S. 173.
2 Vgl. Sten. Ber. der 1. Kammer 1850/°51, " Siehe weiter unten, S. 476 ff.