8 47. Der Kaiser und das Heer. 473
§§ 8 und 9, und das Gesetz über den Waffengebrauch des Militairs vom 20. März
1837 (Preuß. G.-S. 1837, S. 60) auch in diesem Falle zur Anwendung.
Eine fernere Wirkung des Kriegszustandes ist, daß die im Militär-Strafgesetz=
buch vom 20. Juni 1872 im Felde gegebenen Vorschriften (Kriegsgesetze) gelten
(auch wenn die Mobilerklärung der Truppen nicht erfolgt ist) „für die Dauer des
nach Vorschrift der Gesetze erklärten Kriegszustandes in den davon betroffenen Ge-
bieten“ (§ 9, Nr. 2 des Militär-Strafgesetzbuchs). Die in der Militärstrafgerichts-
ordnung für das „Feld“ gegebenen Vorschriften gelten indeß nicht schon durch die
Erklärung des Belagerungs= oder Kriegszustandes (§ 5 des Einführungsgesetzes zur
Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898). Es ist auch §8 7 des Gesetzes
vom 4. Juni 1851 in Geltung geblieben: „In den, in Belagerungszustand erklärten
Orten oder Distrikten hat der Befehlshaber der Besatzung (in den Festungen der
Kommandant) die höhere Militairgerichtsbarkeit über sämmtliche zur Besatzung ge-
hörende Militairpersonen. — Auch steht ihm das Recht zu, die wider diese Personen
ergehenden kriegsrechtlichen Erkenntnisse zu bestätigen. Ausgenommen hiervon sind
nur in Friedenszeiten die Todesurtheile; diese unterliegen der Bestätigung des
kommandirenden Generals der Provinz. — Hinsichtlich der Ausübung der niederen
Gerichtsbarkeit verbleibt es bei den Vorschriften des Militair-Strafgesetzbuches.“ —
Indeß gilt § 7 nur für die Fälle, daß zwar der Belagerungszustand, nicht aber
die Mobilmachung des Heeres erklärt ist. Wenn letzteres geschehen ist, so treten
die Vorschriften der Militärstrafgerichtsordnung über die Feldgerichte in An-
wendung.
Ist der Belagerungszustand erklärt, so kann der Militärbefehlshaber im Interesse
der öffentlichen Sicherheit Verbote aller Art erlassen. Die Uebertretung solcher
Verbote wie die Aufforderung oder Anreizung zu solchen Uebertretungen werden,
wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe bestimmen, mit Gefängniß
bis zu einem Jahre bestraft (§ 9 des Gesetzes vom 4. Juni 1851).
Allgemein, d. h. für Jedermann, hat die Erklärung des Belagerungszustandes
zur Folge, daß die in § 9 des Gesetzes vom 4. Juni 1851 unter a bis d be-
zeichneten Handlungen mit der dort vorgesehenen Strafe (bis zu einem Jahre Ge-
fängniß) bedroht find, wenn die bestehenden Gesetze keine höhere Freiheitsstrafe an-
drohen. Ferner kommt zur Anwendung § 4 des Einführungsgesetzes zum Straf-
gesetzbuch, wonach bis zum Erlasse eines Reichsgesetzes über den Belagerungszustand
die in den §§ 81, 88, 90, 307, 311, 312, 315, 322, 323 und 324 des Straf-
gesetzbuchs mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Verbrechen mit dem Tode zu
bestrafen find, wenn sie in einem Theile des Bundesgebiets, den der Kaiser in
Kriegszustand erklärt hat, (oder während eines ausgebrochenen Krieges auf dem
Kriegsschauplatze) begangen werden 2.
Sodann können bei Erklärung und während der Dauer der Erklärung des
Belagerungszustandes gewisse zum Schutze der Person und des Eigenthums gegebene
Verfassungsvorschriften ganz oder theilweise während der ganzen Dauer und inner-
halb des ganzen Umfanges des Belagerungszustandes oder zeit= und distriktsweise
außer Anwendung gesetzt werden, nämlich in Preußen der Art. 5 von der perfön-
lichen Freiheit und den Bedingungen und Formen ihrer Beschränkung, insbesondere
einer Verhaftung; Art. 6 von der Unverletzlichkeit der Wohnung, den Haus-
suchungen und Beschlagnahmen von Briefen und Papieren; Art. 7, wonach Niemand
seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, Ausnahmegerichte u. s. w. unstatt-
haft find; Art. 27 und 28 von der Preßfreiheit; Art. 29 und 30 von der Vereins-
und Versammlungsfreiheit und Art. 36, wonach die bewaffnete Macht nur in den
vom Gesetze bestimmten Fällen und Formen und nur auf Regquisition der Civil=
behörde zur Unterdrückung innerer Unruhen verwendet werden darf. Wenn außer-
preußisches Gebiet in Belagerungszustand versetzt ist und für dieses Gebiet die sonst
1 Daß diese Vorschrift noch gilt, erkennen Anm. 10.
u. A. an Hänel, I. S. 437, Laband, II, 2 Auf Todesstrafe ist nur zu erkennen, wenn
S. 521, Seydel, in der Zeitschr. f. deutsche ohne die Verhängung des Belagerungszustandes
Gesetzgebung, Bd. VII, S. 620 f.; anderer An= auf lebenslängliches Zuchthaus zu erkennen ge-
sicht G. Meyer, Verwaltungsrecht, 1, S. 185, wesen wäre.