Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

474 Achtes Buch. Reichskriegswesen. 
gültigen Vorschriften über die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, 
die Zuständigkeit der Gerichte, die Preß-, Vereins= und Versammlungsfreiheit, sowie 
über das Einschreiten der bewaffneten Macht ganz oder theilweise fuspendirt werden 
sollen, so ist es nothwendig, daß Solches in erkennbarer Form zur allgemeinen 
Kenntniß des Distrikts gebracht wird 1. Nach dem Reichsgesetze über die Presse 
vom 7. Mai 1874 (R.-G.-Bl. 1874, S. 65), § 30, Abs. 1 bleiben die für die 
Zeiten der Kriegsgefahr, des erklärten Belagerungszustandes oder innerer Unruhen 
in Bezug auf die Presse bestehenden besonderen gesetzlichen Beschränkungen bis auf 
Weiteres in Kraft. Ebenso bestimmt § 16 des Gerichtsverfassungsgesetzes, daß die 
gesetzlichen Bestimmungen über Kriegsgerichte und Standrechte durch dieses Gesetz 
nicht berührt werden. Da aber die sonst für die Presse oder für den Gerichtsstand 
geltenden Vorschriften nicht unbedingt während des Belagerungs= oder Kriegs- 
zustandes fuspendirt zu werden brauchen, so bleibt es trotz der Bezugnahme der 
Reichsgesetze auf diesen Zustand unbedingt nothwendig, wenn die Preßfreiheit 
suspendirt und Kriegsgerichte eingesetzt werden sollen, in irgend einer Form Solches 
als den Willen des Militärbefehlshabers erkennbar zu machen, wenn auch die aus- 
drückliche Suspendirungserklärung der Art. 7 oder 30 der Preußischen Verfassung 
nicht mehr nöthig ist. Unter Suspension der sonstigen Vorschriften können nun 
Kriegsgerichte gebildet werden, die ganz anderer Art sind wie die „Kriegsgerichte“, 
welche die Militärgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 eingeführt hat. Vor die 
Kriegsgerichte des Gesetzes vom 4. Juni 1851 gehören die Untersuchung und Ab- 
urtheilung der Verbrechen des Hochverraths, des Landesverraths, des Mordes, des 
Aufruhrs, der thätlichen Widersetzung, der Zerstörung von Eisenbahnen und Tele- 
graphen, der Befreiung von Gefangenen, der Meuterei, des Raubes, der Plünderung, 
der Erpressung, der Verleitung von Soldaten zur Untreue, der vorsätzlichen Brand- 
stiftung und der vorsätzlichen Verursachung von Ueberschwemmungen, ferner der in 
§ 9 des Gesetzes bezeichneten Handlungen. Die Kriegsgerichte bestehen aus fünf 
Mitgliedern, unter denen zwei von dem Vorstande des Civilgerichts des Ortes zu 
bezeichnende richterliche Civilbeamte und drei von dem Militärbefehlshaber, welcher 
an dem Orte den Befehl führt, zu ernennende Officiere sein müssen. Die Officiere 
sollen mindestens Hauptmannsrang haben; fehlt es an Officieren dieses höheren 
Ranges, so ist die Zahl aus Officieren des nächsten Grades zu ersetzen. Sofern 
in einer vom Feinde eingeschlossenen Festung die erforderliche Zahl von richterlichen 
Civilbeamten nicht vorhanden ist, soll dieselbe von dem commandirenden Militär- 
befehlshaber aus den Mitgliedern der Gemeindevertretung ergänzt werden. Ist 
kein richterlicher Civilbeamter in der Festung vorhanden, so ist stets ein Auditeur 
Civilmitglied des Kriegsgerichts. Die Zahl der Kriegsgerichte richtet sich nach dem 
Bedürfniß; den Gerichtssprengel bestimmt, wenn eine ganze Provinz oder ein Theil 
derselben, nicht bloß einzelne Ortschaften, in Belagerungszustand erklärt sind, der 
commandirende General. Den Vorsitz in den Sitzungen der Kriegsgerichte führt 
ein richterlicher Beamter. Von dem Vorsitzenden werden, bevor das Gericht seine 
Geschäfte beginnt, die zu Mitgliedern desselben bestimmten Officiere und ein- 
tretenden Falls diejenigen Civilmitglieder, welche dem Richterstande nicht angehören, 
dahin vereidigt, 
daß sie die Obliegenheiten des ihnen übertragenen Richteramtes mit Ge- 
wissenhaftigkeit und Unparteilichkeit, den Gesetzen gemäß, erfüllen wollen. 
Der Militärbefehlshaber, welcher die dem Officierstande angehörigen Mitglieder des 
Kriegsgerichts ernennt, beauftragt als Berichterstatter einen Auditeur, oder in dessen 
Ermangelung einen Officier. Stimmrecht hat der Auditeur nicht. Als Gerichts- 
schreiber wird zur Führung des Protokolls ein von dem Vorsitzenden des Kriegs- 
gerichts zu bezeichnender und von ihm zu vereidigender Beamter der Ciovil= 
verwaltung zugezogen (§ 12 des Gesetzes vom 4. Juni 1851). Für das Verfahren 
vor den Kriegsgerichten gelten folgende Bestimmungen: 1) Das Verfahren ist 
mündlich und öffentlich; die Oeffentlichkeit kann vom Kriegsgerichte.. ausgeschlossen 
  
  
1 Vgl. auch Laband, II, S. 531, Anm. 4.
	        
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