Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

8 48. Die Bundesstaaten und das Heer u. s. w. 497 
XIV, § 4 des Schlußprotokolls bezieht sich wie § 5 des Bündnißvertrages nur auf 
die Art. 61 bis 68 der Reichsverfassung; von diesen gilt in Bayern nur, was 
besonders gelten soll; von den Art. 61 bis 68 gilt nicht, wovon Bündnißvertrag, 
und Schlußprotokoll schweigen. Es gilt insbesondere nicht Art. 63. Soweit der 
Kaiser das Inspectionsrecht in Bayern hat, steht ihm das zu auf Grund und nach 
Maßgabe des Bündnißvertrages. 
Der Kaiser hat auch in Friedenszeiten nicht das Dislocationsrecht in Bayern, 
noch kann er den Präsenzstand, die Gliederung und Eintheilung der bayerischen 
Truppen bestimmen; er kann auch nicht unmittelbar die kriegsbereite Aufstellung 
der bayerischen Truppen verfügen. Bayern braucht die preußischen Heeresverord- 
nungen nicht gemäß Art. 63, Abs. 5 bei sich einzuführen. Die bayerischen Truppen 
find nur gemäß III, § 5, IV des Bündnißvertrages verpflichtet, den Befehlen des 
Kaisers unbedingte Folge zu leisten. Art. 64, insofern er weitergehende Vor- 
schriften hat, gilt nicht für Bayern. Auch steht dem Kaiser nicht zu, den Höchst- 
commandirenden und die Festungscommandanten in Bayern zu ernennen oder 
bayerische Officiere zu anderen Contingenten abzucommandiren u. s. w. Andererseits 
find die Vorschriften des Bündnißvertrages und des Schlußprotokolls an die Stelle 
der Art. 61 bis 68 der Reichsverfassung getreten und stellen bayerische Sonder- 
rechte im Sinne des Art. 78, Abs. 2 der Reichsverfassung dar. Hieraus folgt, 
daß ein Reichsgesetz, welches Bayern seine selbstständige Militärverwaltung nehmen 
oder das bayerische Heer auch im Frieden dem Oberbefehle des Kaisers unterstellen 
oder in Bayern eine Festung anlegen wollte, nur mit Zustimmung Bayerns 
erlassen werden kann. Hiernach ist folgender Schluß gerechtfertigt: die Gesetz- 
gebung des Deutschen Reiches gilt grundsätzlich auch für Bayern; sobald sie aber 
Bayern besonders vorbehaltene Rechte verletzt, kann sie gemäß Art. 78, Abs. 2 der 
Reichsverfassung nur unter bayerischer Zustimmung erlassen werden. Letzteres würde 
der Fall sein, wenn Bayern die selbstständige Heeresverwaltung entzogen werden 
(III, § 5, II des Bündnißvertrages), oder wenn das bayerische Heer aufhören sollte, 
einen in sich geschlossenen Bestandtheil des Reichsheeres zu bilden, oder wenn die 
Militärhoheit des Königs von Bayern weiter eingeschränkt werden, oder für die 
Bewaffnung und Ausrüstung der bayerischen Truppen unmittelbar von Reichswegen 
Vorschriften gegeben werden sollten (I. c. III), oder wenn eine Reichsfestung auf 
bayerischem Gebiete angelegt werden soll (lI. c. V. Es find denn mit Wirksamkeit 
auch für Bayern zahlreiche Reichsmilitärgesetze ergangen, allerdings unter Wahrung 
der bayerischen Sonderrechte in Bezug auf eigene Verwaltung und Militärhoheit. 
Es findet ferner auf Bayern die Vorschrift in Art. 7, Ziff. 2 der Reichs- 
verfassung Anwendung, wonach, wenn der Gesetzgeber die Verordnungsbefugniß 
keinem Anderen, z. B. dem Kaiser oder dem Könige von Bayern, überträgt, der 
Bundesrath die zur Ausführung der Militärgesetze nothwendigen „Verwaltungs- 
vorschriften“ erlassen kann. 
Bei dieser Rechtslage besteht kein Zweifel daran, daß das Reich eine auch für Bayern 
gültige Militärstrafgerichtsordnung im Wege der Reichsgesetzgebung erlassen konnte. 
Die Militärstrafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 (R.-G.-Bl. 1898, S. 1189) 
verletzt keines der Bayern im Bündnißvertrage belassenen Sonderrechte, insbesondere 
nicht die selbstständige Heeresverwaltung und die eigene Militärhoheit. In Kriegszeiten 
und überhaupt, sobald der König von Bayern die Mobilmachungsordre erlassen hat, 
stehen die bayerischen Truppen unter dem kaiserlichen Oberbefehl; folglich ist es 
gerechtfertigt, daß der Kaiser gemäß § 422 der Militärstrafgerichtsordnung bestimmt, 
wer das Bestätigungsrecht und das Aufhebungsrecht für die „im Felde“ ergangenen 
Urtheile der Militärgerichte hat. Von Zeiten der Mobilmachung abgesehen, übt 
Bayern alle Rechte des Contingentsherrn und Gerichtsherrn uneingeschränkt aus. 
Die Selbstständigkeit seiner Truppen wird durch nichts beeinträchtigt, auch nicht 
dann, wenn das Revifionsgericht des Deutschen Reiches in Militärstrafsachen, 
d. i. das Reichsmilitärgericht, zugleich für Bayern thätig sein könnte. Die 
bayerische Civilverwaltung und die bayerische Justiz sind viel selbstständiger als 
die bayerische Militärverwaltung; letztere ist in Uebereinstimmung mit der Reichs- 
militärverwaltung zu halten und untersteht der besonderen kaiserlichen Aufsicht; 
Arndt, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 92
	        
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