500 Achtes Buch. Reichskriegswesen.
noch können sie irgend welche militärisch gebotene Handlung durch wege-, bau-,
feuer-, wasser= oder andere polizeiliche Verfügungen hemmen; sie müssen es daher
ruhig geschehen lassen, wenn der Festungscommandant die Umgebung der Festung
oder das ganze Festungsgebiet unter Wasser setzt, vorhandene Gebäude bei erklärtem
Kriegszustande zerstören und andere an deren Stelle aufführen läßt, und wenn er,
gleichfalls bei erklärtem Kriegszustand, die Militär-, Civilverwaltungs= und Gerichts-
gewalt in sich vereinigt 1.
Sollen neue Festungen angelegt werden, so steht dem Reiche das Recht zu,
den dazu erforderlichen Grund und Boden zu enteignen. Dies ist unstreitig"; es
ist aber unrichtig, wenn behauptet wird, daß die Enteignung nach den Gesetzen
des betreffenden Bundesstaates vor sich gehen muß, in welchem der Bau geschieht.
Gewiß wird das Reich nicht ohne Entschädigung privates Grundeigenthum auf-
heben; andererseits ist es nicht gezwungen, das weitschweifige Enteignungsverfahren
nach dem betreffenden Landesrechte durchzuführen; vielmehr steht es bei ihm, selbst
vorzuschreiben, wie und in welchen Formen die Entschädigung festzusetzen ist. Ich
nehme an, daß der Kaiser ohne Weiteres, und ohne durch den etwaigen Einspruch
der Bundesstaaten oder der Privateigenthümer gehindert zu sein, die Anlegung und
Erweiterung von Festungen auf Grund des Art. 65 der Reichsverfassung verfügen kann,
und daß es dagegen keine Instanz und keinen Aufschub giebt, daß aber anderer-
seits nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen das Reich Jedem, der in seinen Vermögens-
rechten dadurch irgendwie verletzt ist, vollen Schadensersatz leisten muß und daß über
die Höhe desselben die ordentlichen Gerichte entscheiden.
Das Recht des Kaisers ist durch das Budgetrecht, das Ausgabenbewilligungs-
recht des Bundesraths und des Reichstages, beschränkt. Ohne Etatsgesetz, ohne
Zustimmung von Bundesrath und Reichstag, kann der Kaiser Geld für Festungs-
zwecke nicht ausgeben. Er kann auch ohne Zustimmung von Bundesrath und Reichstag
Festungsgrundstücke nicht veräußern und jedenfalls über den Erlös, welcher aus dem
Verkaufe solcher Grundstücke erzielt ist, nicht ohne Zustimmung von Bundesrath und
Reichstag verfügen 3. Solange der Kaiser den Betrag zu seiner Verfügung hatte,
welchen ihm Art. 62 der Reichsverfassung zusprach (225 Thlr. für jeden Kopf der
Friedensstärke) und soweit er aus diesem Betrage die Kosten der Anlegung oder
Veränderung von Festungen bestreiten konnte, brauchte er die Zustimmung von
Bundesrath und Reichstag zu solchen Kosten nicht. Zur Zeit braucht der Kaiser,
wie oben bemerkt ist, wegen der Geldausgaben die Zustimmung dieser beiden Körper-
schaften auch bei Festungsanlagen.
Die Festungen find Reichsfestungen, das dazu gehörige unbewegliche wie be-
wegliche Vermögen ist Reichsvermögen". Es dies unstreitig und z. B. in Art. 8
der Militärconvention mit Sachsen vom 7. Februar 1867 anerkannt.
Eine Ausnahmestellung nimmt Bayern ein. Die bayerischen Festungen find
Eigenthum des bayerischen Staates. Es ergiebt sich dies u. A. aus den §§ 1 und 2 des
Schlußprotokolls zum Bündnißvertrag mit Bayern und ist auch dadurch vom Bundes-
rath anerkannt, daß nach dessen Erklärung (Protokolle 1879, S. 109) das Gesetz
über die Rechtsverhältnisse der zum dienstlichen Gebrauche einer Reichsverwaltung
bestimmten Gegenstände, vom 25. Mai 1873 (R.-G.-Bl. 1873, S. 113) bezüglich
der Militär-, Post= und Telegraphenverwaltung auf Bayern keine Anwendung
findet. Selbst wenn auf Reichskosten neue Festungsanlagen in Bayern gemacht
werden, treten diese — nach § 2 in XIV des Schlußprotokolls — bezüglich ihres
immobilen Materials in das ausschließliche Eigenthum Bayerns, während ihr mobiles
Material Reichseigenthum wird.
Weder gegen den Willen des Königs von Bayern noch gegen den des Königs
1 Siehe oben S. 476 f. Kriegskosten-Entschädigung, vom 8. Juli 1872
2 Seydel, Comm., S. 372. (R.-G.-Bl. 1872, S. 289). ç
s Siehe Gesetz, betreffend die Geldmittel zur 4 Siehe auch Gesetz über die Rechtsverhältniss
Umgestaltung und Ausrüstung von deutschen der zum dienstlichen Gebrauche einer Reichsverwal-
Esstungen, vom 30. Mai 1873 (R.-G.-Bl. 1873, tung bestimmten Gegenstände vom 25. Mai 1873
123), ferner Gesetz, betreffend die französische (R.-G.-Bl. 1873, S. 113), oben S. 431f.