Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

§ 12. Rechte und Pflichten der Reichsangehörigen. 51 
demgemäß zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, 
zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechts 
und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Vor- 
aussetzungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechts- 
verfolgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu behandeln ist.“ 
Nach der Vorschrift in Absatz 3 des Artikels 3 beziehen sich diese Bestimmungen 
weder auf die Armenversorgung noch auf die Aufnahme in den localen Gemeinde- 
verband. Man wird indeß noch weiter gehen und unbedingt zugestehen müssen, 
daß diese Bestimmungen sich auch nicht auf das Ausscheiden aus dem Gemeinde- 
verbande beziehen (Erkenntniß des Oberverwaltungsgerichts vom 27. Juni 1896, 
Entscheidungen Bd. 30, S. 1 ff., bes. S. 8). Da ferner die Einzelstaaten nur die 
Befugnisse verloren haben, die ausdrücklich auf das Reich übertragen sind, so folgt 
und wird durch die Worte „mit der Wirkung, daß“ bestätigt, daß das gemeinsame 
Indigenat nur den in Artikel 8 umschriebenen Inhalt hat, also zum Beispiel nicht 
das Recht umfaßt, an den Landtagswahlen Theil zu nehmen. Artikel 3 der 
Reichsverfassung bewirkte auch ferner nicht, daß in Bezug auf das Strafrecht 
alle deutschen Staaten als Inland galten; dies ist erst durch das Reichsstraf- 
gesetzbuch (§ 8) ausgesprochen; auch nicht, daß in Bezug auf die Civil= und 
Strafproceß-Gesetzgebung alle Reichsangehörigen als Inländer anzusehen 
waren; dies ist erst durch § 39 des Gesetzes betr. die Gewährung der Rechtshülfe 
vom 21. Juni 1869 (B.-G.-Bl. S. 305) und die Reichsjustizgesetze vom Jahre 1877 
geschehen (Gerichtsverfassungsgesetz § 157, Motive zur Strafproceßordnung S. 131)2. 
Indeß ging der Abgeordnete Dr. Braun u weit, wenn er sagte (Sten. Ber. 
des versassungsberathenden Reichstages 1867, S. 131), daß Artikel 3 der Reichs- 
verfassung lediglich eine Begünstigung darstelle, wie man sie durch völkerrechtliche 
internationale Verträge mit fremden Nationen stabilirt; vgl. auch Seydel, 
Commentar, S. 51, Laband, Staatsrecht, 1, S. 159 ff. Zunächst ergiebt sich 
aus Artikel 3, daß alle Rechtsregeln, wonach Fremde ungünstiger als die eigenen 
Staatsangehörigen zu behandeln find, in Ansehung der Angehörigen der übrigen 
Bundesstaaten ausgehoben sind und daß in Zukunft rechtliche Ungleichheiten 
zwischen den Angehörigen der verschiedenen deutschen Bundesstaaten nicht begründet 
werden dürfen (Laband, 1, S. 161). Die Bedeutung des Artikels 3 geht aber 
noch viel weiter. Artikel 18 der deutschen Bundesacte von 1815 gewährte den 
Unterthanen der deutschen Bundesstaaten das Recht, 1. Grundeigenthum auch 
außerhalb des Staates, den sie bewohnen, zu erwerben und zu besitzen, 2. des 
freien Abziehens in einen anderen deutschen Bundesstaat, der sie erweislich zu 
Unterthanen annehmen will, 3. in Civil= oder Militärdienst eines anderen Bundes- 
staates zu treten — zu 2. und 3. nur, insofern keine Verbindlichkeit zu Militär- 
dienst gegen das eigene Vaterland im Wege steht — und 4. die Freiheit von der 
gabella emigrationis bei Ueberwanderung in einen anderen Bundesstaat. 
Die Zollvereinigungsverträge von 1833 u. s. w. (siehe oben § 4) schrieben 
vor, daß alle aus irgend einem Vereinsstaate kommenden Waaren in allen Vereins- 
staaten gleich zu behandeln sind und daß beim Handelsgewerbe und beim Meß- 
und Marktverkehr (außer beim Hausirhandel) kein Unterschied zwischen den An- 
gehörigen der Vereinsstaaten zu machen ist. 
Die Landesgesetzgebungen hatten für ihre Staatsangehörigen meist schon die 
Freizügigkeit und Gewerbefreiheit eingeführt: so in Preußen das Gesetz über die 
Aufnahme neu anziehender Personen vom 31. December 1812 (Gesetzsammlung 1843, 
S. 5) und die allgemeine Gewerbeordnung vom 17. Januar 1845. Die Gleich- 
stellung aller anderen Reichsangehörigen mit den Preußen durch Artikel 3 der 
Reichsverfassung bedeutete somit, daß in Preußen auch für nicht preußische An- 
gehörige die Grundsätze der Freizügigkeit und der Gewerbefreiheit galten. Diese 
  
1 Vgl. auch über die Bedeutung und Trag= für Justizwesen im Bundesrath vom 12. De- 
weite des Artikels 3 für die frühere Civil- und cember 1868 in Hirth's Annalen 1869, S. 14 ff. 
Strafrechtspflege den Bericht des Ausschusses 
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